Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein Toter zu wenig

Ein Toter zu wenig

Titel: Ein Toter zu wenig
Autoren: Dorothy Leigh Sayers
Vom Netzwerk:
zwischen den Fingern, hielt sie gegens Licht, begutachtete sie unter einer Lupe, reichte sie dem ungerührten Bunter und sagte: »Willst du mir etwa erzählen, Wimsey, daß irgendein Mensch auf der Welt -« er lachte schroff - »sich mit offenem Mund den Bart rasieren und dann hingehen und sich mit dem Mund voller Haare umbringen lassen würde? Du bist ja verrückt.«
    » Ich  erzähle so etwas nicht«, sagte Wimsey. »Ihr Polizisten seid doch alle gleich - ihr habt nur einen Gedanken unter der Schädeldecke. Ich möchte wirklich mal wissen, wofür man euch bezahlt. Der Mann wurde rasiert, nachdem er schon tot war. Hübsch, nicht? Nette Beschäftigung für den Barbier. Komm, setz dich wieder, Mann, und trampele hier nicht wie ein Esel im Zimmer herum. Im Krieg passieren schlimmere Sachen. Das hier ist doch nur ein billiges Gruselgeschichtchen. Aber ich will dir mal etwas sagen, Parker - wir haben es mit einem Verbrecher zu tun - dem  Verbrecher - dem wahren Künstler, einem Bösewicht mit Phantasie. Das ist echtes Kunstwerk, eine runde Sache. Ich habe meinen Spaß daran, Parker.«

3. Kapitel
    Lord Peter beendete eine Sonate von Scarlatti, blieb sitzen und betrachtete nachdenklich seine Hände. Die Finger waren lang und muskulös und hatten breite, flache Gelenke und eckige Spitzen. Wenn er spielte, wurden seine sonst recht harten grauen Augen weicher, dafür verhärtete sich sein breiter, unentschlossener Mund. Zu keiner anderen Zeit hätte er gutes Aussehen für sich in Anspruch genommen, und ein solcher Anspruch wäre auch durch das lange, schmale Kinn und die lange, fliehende Stirn, die durch das glatt zurückgekämmte flachsblonde Haar noch betont wurde, jederzeit zunichte gemacht worden. Sozialistische Zeitungen pflegten dieses Kinn noch etwas weicher zu machen und ihn als typischen Aristokraten zu karikieren.
    »Ein wunderbares Instrument«, sagte Parker.
    »Nicht schlecht jedenfalls«, antwortete Lord Peter, »aber Scarlatti verlangt ein Spinett. Klavier ist zu modern - zu viele Vibrationen und Obertöne. Taugt nichts für unsere Arbeit. Bist du schon zu einem Schluß gekommen?«
    »Der Mann in der Badewanne«, zählte Parker methodisch auf, »war  kein  wohlhabender Mann, der auf sein Äußeres bedacht war. Er war ein stellungsloser ungelernter Arbeiter, der aber seine Stelle erst vor kurzem verloren hatte. Er zog auf Arbeitssuche durch die Gegend, als ihn sein Schicksal ereilte. Jemand hat ihn getötet und dann gewaschen, parfümiert und rasiert, um ihn unkenntlich zu machen und ihn danach in Thipps' Badewanne zu deponieren, ohne eine Spur zu hinterlassen. Folgerung: Der Mörder war ein kräftiger Mann, da er ihn mit einem einzigen Schlag ins Genick getötet hat; ein Mann mit kühlem Kopf und meisterlichem Verstand, weil er dieses ganze gruslige Werk vollbracht hat, ohne eine Spur zu hinterlassen; ein Mann von Wohlstand und Bildung, da er alle notwenigen Toilettengegenstände zur Hand hatte, und ein Mann von bizarrer, fast perverser Phantasie, was man daran erkennt, daß er sein Opfer erstens in die Badewanne gelegt und zweitens noch mit einem Kneifer geschmückt hat.«
    »Ein Poet unter den Verbrechern«, sagte Wimsey. »Übrigens ist das Rätsel um den Kneifer gelöst. Er hat dem Toten offenbar nie gehört.«
    »Das gibt uns aber nur ein neues Rätsel auf. Man kann wohl nicht davon ausgehen, daß der Mörder ihn entgegenkommenderweise als Hinweis auf seine Identität hinterlegt hat.«
    »Das wohl kaum; ich fürchte, dieser Mann besitzt etwas, was den meisten Kriminellen fehlt - Humor.«
    »Einen ziemlich makabren Humor.«
    »Richtig. Aber wer sich unter solchen Umständen überhaupt noch Humor leisten kann, der muß schon ein Kerl sein. Ich möchte wissen, was er mit dem Toten gemacht hat, nachdem er ihn ermordet hatte und bevor er ihn bei Thipps einquartierte. Dann ergeben sich weitere Fragen. Wie hat er ihn dorthin bekommen? Und warum? Kam er zur Tür herein, wie unser herzallerliebster Sugg meint? Oder durchs Fenster, wie wir glauben, und zwar aufgrund des recht unzulänglichen Indizes eines Schmierflecks auf der Fensterbank? Hatte der Mörder Komplizen? Steckt der kleine Thipps vielleicht wirklich mit drin, oder sein Hausmädchen? Man kann diese Möglichkeit ja nicht von vornherein ausschließen, nur weil Sugg an sie glaubt. Auch Idioten haben hin und wieder versehentlich recht. Wenn nicht, warum fiel die Wahl für diesen abscheulichen Streich ausgerechnet auf Thipps? Hat jemand etwas gegen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher