Ein unauffälliger Mann - Chadwick, C: Ein unauffälliger Mann - It's All Right Now
Kopf ein wenig zur Seite gelegt, die Augen geschlossen, die Lippen feucht, mit einer Locke, die ihr Ohrläppchen umspielte usw., so daß nur schwer zu sagen war, was wofür den Ausschlag gab. Oder, um es anders zu sagen, wenn das Liebe war, konnte sie nur dann auf dieser Ebene gehalten werden, wenn ich in ihrer Gesellschaft mit einem dieser Walkman-Dinger herumlief? Würde sie auf Dauer das Grauen dessen fernhalten, was bereits am Horizont dräute, die schwarze Baumgruppe, die düster sich auftürmenden Wolken darüber und kein anderer Weg in Sicht als der, auf dem man geht und der direkt dort hineinführt?
Es war nur ein kurzer Spaziergang in freier Landschaft, durch Wiesen in der Sonne, mit grasendem Vieh im Zentrum und im Hintergrund Weizenfelder, die in den Himmel zu wogen schienen. Oder so ähnlich, bis aus den Bildern im Hirn wieder das alte,
düstere Schlachtfeld wurde, auf dem Verbündete die Seiten wechselten, ohne daß es je Aussicht auf einen Waffenstillstand gäbe, und Erinnerungen sich einen Weg durch die Opfer bahnten wie Sanitäter, die weder heilen noch trösten können. Die Bereitschaft des Geistes konnte, wie die des Körpers, nicht unendlich aufrechterhalten werden. Und so schaffte Beethoven letztendlich nicht mehr als ein paar Scharmützel, das alte Schmachten und Klagen in Töne gesetzt, so daß zum Schluß das Lächerliche noch lächerlicher war, weil es das Erhabene durchmessen hatte. Da war nichts mehr übrig von Baumgruppen und sonnenhellen Weizenfeldern.
Wie auch immer. Wir wurden einander näher gebracht. Reicht das nicht schon? Das Verlangen schlich sich heran an die Kameradschaftlichkeit, oder genauer, eine Schneise öffnete sich im Unterholz, und man sah es freundlich dort hocken. Ich unterhielt mich unbefangen mit ihr, und oft faßten wir uns an den Händen, wenn wir irgendwo gingen oder warteten, so daß es kein überstürzter Sprung ins Dunkle war, als wir schließlich darauf kamen, daß sie mich in Suffolk besuchen könnte.
Wir saßen beim Essen, nachdem wir uns Tschechows Drei Schwestern angeschaut hatten. Sie meinte in etwa, es sei schwierig, Mitleid mit jemand zu haben, der immer nur Trübsal blase, kein Wunder, daß sie sich gegenseitig ohne vernünftigen Grund umbrächten, und der Kommunismus geschehe ihnen ganz recht, so wie diese Frau die Bediensteten behandelte, sie hätten es ja darauf angelegt. Ich widersprach ihr nicht, aus offensichtlichen Gründen, aber auch, weil die Figuren mich ebenfalls genervt hatten, obwohl sie zu einem Stück gehörten, das es schaffte, zugleich tragisch und komisch zu sein, völlig deprimierend und völlig befriedigend, alles zur selben Zeit. Außerdem hatte sie die Karten bezahlt. Ich hatte mir die Mühe gemacht, ein paar Kritiken zu lesen, die sich vorwiegend mit den schauspielerischen Leistungen und der Inszenierung beschäftigten und weniger mit dem Stück selbst, und das paßte genau zu dem, was ich von Theaterleuten im Fernsehen gesehen hatte, immer nur wollten sie über sich reden, über ihre Empfindungen bei dem, was sie machten, und nie darüber, was sie da eigentlich machten und wer es geschrieben hatte.
Genaugenommen redeten sie über ihre Karrieren, so wie Tschechows Figuren übers Leben redeten, wobei weder die einen noch die anderen je über den eigenen Tellerrand hinausschauten. Wie auch immer, die Kritiken hatten mich nicht in die Lage versetzt, irgend etwas über Inhalt und Absicht des Stücks zu sagen, allerdings hatten sie meinen Horizont so erweitert, daß ich, während ich entschlossen die Gabel in meinen letzten Rest Schwarzwälder Kirschtorte stieß, sagen konnte: »Diese jüngste Schwester, irgendwie geht’s mir manchmal wie ihr, weil ich mich oft frage, was ich in der Großstadt wohl so alles verpasse, wie dich viel öfter sehen zum Beispiel.«
Sie wischte sich die Lippen und legte ihre Hand auf die meine. »Und ich sehne mich nach dem Land. Ich bin ja auf dem Land geboren, oder fast, in Rickmansworth, um genau zu sein.«
»Warum besuchst du mich nicht mal für einen Tag? Wir könnten ans Meer fahren, uns die Fischerboote anschauen, es gibt da einen hübschen ...«
»Und über Nacht bleiben ...«, sagte sie und tastete unter dem Tisch nach ihrer Handtasche, die sich allerdings nicht dort befand, wo sie sie vermutete.
Ich hustete in meine Serviette, was dort einige unappetitliche Spuren des Verzehrs hinterließ.
»Natürlich. Es gibt ein paar hübsche Hotels. Oder ...«
Sie schaute mich seelenruhig an,
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