Ein Vampir fuer alle Sinne
kaschieren, während sie ihre Fangzähne in das Fleisch bohrte.
Livy stand vor der offenen Tür ihrer Kabine, als Jeanne Louise Augenblicke später wieder zum Vorschein kam.
»Da bist du ja«, rief die Kleine und strahlte, als sie sie entdeckte. »Ich dachte schon, du wärst weggegangen.«
»Das würde ich niemals tun«, erwiderte Jeanne Louise unbeschwert und hob das Mädchen hoch, damit es sich die Hände waschen konnte.
»Ich glaube, Daddy mag dich, Jeanie.«
Diese Erklärung kam so unerwartet, dass Jeanne Louise die Kleine fast hätte fallen lassen. »Tatsächlich?«, fragte sie und hielt das Kind krampfhaft fest, das sich gerade die Hände einseifte. »Wie kommst du denn darauf?«
»Weil er viel mehr lächelt, wenn du da bist. Und er ist nicht mehr die ganze Zeit so traurig«, antwortete sie. »Ich kenne ihn meistens nur traurig. Ich dachte immer, dass das meine Schuld ist, aber Grandma hat mir gesagt, das ist, weil Mommy gestorben ist. Sie hat gesagt, dass er sie vermisst. Aber ich glaube, dass er sie nicht so schlimm vermisst, wenn du da bist.«
Nach kurzem Zögern fragte Jeanne Louise: »Hast du denn nichts dagegen? Wenn er mich mag, meine ich.«
»Natürlich nicht.« Livy grinste sie schelmisch an. »Ich mag dich doch auch. Und außerdem braucht er jemanden, der ihn zum Lachen bringt, wenn ich erst mal im Himmel bin.«
Jeanne Louise gefror das Lächeln auf den Lippen, als sie in das unschuldige Gesicht dieses Mädchens sah. Es versetzte ihr einen Stich ins Herz.
»So, ich bin fertig, du kannst mich runterlassen«, verkündete Livy unbeschwert und holte Jeanne Louise aus ihrer momentanen Starre.
Sie setzte die Kleine ab und wusch sich selbst die Hände, dann zog sie für sie beide ein paar Papiertücher aus dem Spender. Nachdem sie sich die Hände abgetrocknet hatten und auf dem Weg zurück zur Restaurantmeile waren, wurde Jeanne Louise erst bewusst, dass sie von der unerwarteten Gelegenheit Blut zu trinken so überrumpelt worden war, dass sie darüber völlig vergessen hatte, selbst auch zur Toilette zu gehen.
8
»Gehen wir schwimmen, wenn wir zurück sind?«, fragte Livy aufgeregt, als Paul sie in ihrem Kindersitz anschnallte.
»Sobald wir das Cottage erreicht und alles aus dem Auto gebracht haben«, versprach Paul und machte die Tür zu. Als er um seinen Wagen herumgehen wollte, sah er durch das Seitenfenster, dass Jeanne Louises Gesicht wieder blass und angespannt war. Er schaute kurz zu seiner Tochter, die immer noch wach war und fröhlich lächelte. Schließlich machte er die Beifahrertür auf und beugte sich ins Wageninnere.
»Jeanie?«, fragte er besorgt, als er feststellte, dass ihr Gesicht in Wahrheit sogar grau war. Die Lippen hatte sie fest aufeinandergepresst, und sie bewegte die Kiefermuskeln, als würde sie kauen. Zwar drehte sie sich zu ihm um, doch ihm kam es so vor, als ob sie ihn eigentlich gar nicht wahrnahm. Ihre ganze Konzentration war auf den Schmerz gerichtet, den sie aushielt, um ihn dem kleinen Mädchen auf der Rückbank zu ersparen. Die Kopfschmerzen wurden schlimmer, und sie kosteten Jeanne Louise jedes Mal mehr Kraft. Sie könnten dem Ganzen ein Ende setzen, wenn sie seine Tochter einfach wandelten. Aber bislang hatte er sie darum noch nicht gebeten, wohl weil er hoffte, dass Jeanne Louise das von sich aus machen würde. Aber wenn sie nicht bald darauf zu sprechen kam, würde er das Thema anschneiden müssen. Die zunehmende Heftigkeit und Häufigkeit der Kopfschmerzen deuteten darauf hin, dass ihnen die Zeit davonlief.
»Lass sie einschlafen«, raunte er ihr zu, musste es aber etwas lauter und eindringlicher wiederholen, weil Jeanne Louise ihn offenbar nicht verstanden oder gar nicht gehört hatte. Auf jeden Fall fiel beim zweiten Mal ein wenig von der Anspannung ab, die ihre Gesichtszüge prägte. Ein Blick auf den Rücksitz verriet ihm, dass seine Tochter schlief.
Erleichtert atmete er durch. Er wollte nicht, dass Livy leiden musste, aber es behagte ihm auch nicht, dass Jeanne Louise an ihrer Stelle die Schmerzen erduldete.
Paul drehte sich zu Jeanne Louise um, die mit den Fingern über ihren Kopf strich, als versuche sie, die Schmerzen wegzumassieren. Sofort half er ihr und massierte mit ihr zusammen ihre Kopfhaut. »Es tut mir leid«, murmelte er dabei.
Jeanne Louise erwiderte etwas, war aber vor Erschöpfung so leise, dass er nicht wusste, was sie gesagt hatte. Genau genommen war er sich nicht mal sicher, ob sie ihn überhaupt gehört hatte.
Seufzend
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