Ein verboterner Kuss
Ruhe annähern konnten.
Einen Moment lang blieb die Stute erschöpft liegen. Grace beobachtete sie wie gebannt. Plötzlich hob die Stute den Kopf und schnupperte neugierig an ihrem Fohlen. Sie rückte näher heran und begann, sein nasses, klebriges Fell liebevoll mit der Zunge zu säubern. Ab und zu hielt sie inne und stupste es sanft mit der Nase an.
Es war das Schönste, was Grace je gesehen hatte.
Das Fohlen wand sich unter der Zunge seiner Mutter. Die Stute wieherte leise und das Fohlen spitzte die Ohren, als es zum ersten Mal die Stimme seiner Mutter hörte.
Lord DAcre stellte sich neben Grace und betrachtete die beiden ebenfalls. Grace sah ihn an und lächelte verklärt. „Es ist ein Wunder“, flüsterte sie. „Ein echtes Wunder.“ In ihren Augen schimmerten Tränen.
Ihre Blicke verfingen sich ineinander. „Ja“, erwiderte er langsam. „Es ist ein Wunder.“ Er strich ihr mit dem Finger über die tränenfeuchte Wange. „Genau wie Sie.“ Dann zog er sie in seine Arme und küsste sie lange und zärtlich.
Es war ein süßer, ganz schlichter Kuss, das Teilen eines Gefühls, ein Miteinander-im-Einklang-Sein ... und er traf Grace mitten ins Herz.
Nach einer Weile besann sie sich wieder darauf, wer er war und wer sie war, und sie löste sich aus seiner Umarmung. Sie sah zu, wie die Stute ihr Fohlen leckte und es dabei immer besser kennenlernte.
„Woher weiß sie so genau, was sie tun muss?“ „Mutterinstinkt“, gab er leise zurück. „Einer der machtvollsten Instinkte der Welt.“ Er sagte es beinahe andächtig und aus tiefster Überzeugung.
„Melly würde das gefallen“, murmelte sie.
„Sie mag Pferde?“
Erst durch seine Frage wurde ihr bewusst, was sie da eben gesagt hatte. Eigentlich hatte sie nichts davon erwähnen wollen, denn das war Mellys Aufgabe und nicht ihre. Doch jetzt, nachdem sie ohne nachzudenken gesprochen hatte, ergab sich auf einmal die Gelegenheit, die Dinge ein wenig voranzutreiben. Sollte sie noch mehr sagen?
Sie nagte an ihrer Unterlippe. Wie fürsorglich die Stute ihr Fohlen behandelte. Oben lag Melly in ihrem Zimmer und träumte. Melly, die so sehr davon träumte, Mutter zu werden. Träume, die sich nie erfüllen würden, wenn sie diesen Mann heiratete. Ja, sie sollte sich für ihre Freundin einsetzen. Deshalb hatte Melly sie schließlich gebeten, sie zu begleiten - um sie vor einer ungewollten Ehe zu bewahren.
„Nein, Melly Pettifer mag keine Pferde, sie hat Angst vor ihnen. Aber das da.“ Sie zeigte auf die Stute, die ihr Fohlen wieder sanft anstupste. „Das ist es, wovon Melly Pettifer träumt.“ Er warf ihr einen scharfen Blick zu. „Wie meinen Sie das?“ „Mutterschaft.“ Sie hielt seinem Blick stand. „Sie liebt Kinder. Sie sehnt sich nach dem Tag, an dem sie endlich ihr eigenes Baby im Arm halten kann. Ich kenne sie seit sieben Jahren. Sie hat sich immer Kinder gewünscht.“ Sie zog das Tuch fester um sich und trat einen Schritt zurück. „Immer.“ Er streckte die Hand aus, um sie zurückzuhalten, aber sie wich weiter zurück. „Nein. Ich bin nicht diejenige, mit der Sie reden müssen.“ Damit drehte sie sich um und verließ den Stall.
Grace riss die Augen auf und schreckte aus dem Schlaf hoch. Noch ein Traum, wie ihr klar wurde. Ein mattes Licht fiel durch die Vorhänge, der Morgen graute. Sie gab den Versuch auf, wieder einschlafen zu wollen. Sie wusste, sie hatte geschlafen, aber fast die ganze Nacht war sie von Träumen heimgesucht worden. Träume, in denen Dominic Wolfe eine viel zu große Rolle gespielt hatte. Leidenschaftliche, erregende Küsse, dazwischen immer wieder Sätze wie: „Die Ehe ist nichts weiter als ein geschäftliches Arrangement.“ Holprige Kutschfahrten, Fohlen, ein dunkler Kopf, der sich mit unerträglicher Zärtlichkeit über eine verletzte Hand neigte. Babys, silbergraue Pferde, Holzhacken und ein weißes Hemd und nasse Breeches, die sich an einen straffen, festen Körper schmiegten.
Wer war er? Im einen Moment küsste er sie mit einer Leidenschaft, die Grace auch einen Tag später noch ganz schwindelig machte, wenn sie nur daran dachte. Und schon im nächsten sprach er mit kühler Leidenschaftslosigkeit davon, dass die Ehe nur etwas rein Geschäftliches wäre. Dann wiederum kümmerte er sich mit solchem Mitgefühl um eine Stute und ihr Fohlen und küsste Grace danach mit so großer Zärtlichkeit ...
Was wollte er? Er begehrte Grace. Das stand fest.
Und sie begehrte ihn.
Dennoch schien er keinen Widerspruch
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