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Ein verzauberter Sommer: Roman (German Edition)

Ein verzauberter Sommer: Roman (German Edition)

Titel: Ein verzauberter Sommer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliet Hall
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sie Tonino wirklich?
    »Il tesoro« , murmelte Giovanni. »Der Schatz.«
    Aha, dachte Tess. Das war also das geheimnisvolle »Es«. Langsam redete er Klartext.
    »Ihr Großvater war für den tesoro verantwortlich«, erklärte Giovanni streng. »Und Amatos Großvater hat ihn gestohlen. Er war der beste Freund Ihres Großvaters. Also war es nicht nur ein Diebstahl, sondern Verrat.«
    Sollte sie ihm glauben? Tess schaute auf seine Hand hinunter, die ihren Arm noch immer umfasst hielt.
    Giovanni ließ sie los. »Es tut mir leid, Tess.« Er schien seine Fassung zurückzugewinnen.
    »Wie dem auch sei«, sagte sie, »das war Toninos Großvater, nicht er selbst.« Sie war sich bewusst, dass sie verzweifelt versuchte, Tonino in Schutz zu nehmen. Denn im Gegensatz zu den Sizilianern machte sie Menschen nicht für das Verhalten ihrer Familienmitglieder verantwortlich.
    »Sie sind alle gleich«, knurrte Giovanni. »Sie sind Amatos. Und dieser Mann hat schon so viele Frauen hinters Licht geführt …«
    Moment mal. »So viele Frauen?«
    Giovanni zuckte mit den Schultern. »Sie werden schon noch dahinterkommen, Tess«, erklärte er.
    Sie hatte genug gehört. All das Schöne, dass dieser Nachmittag bedeutet hatte, war in Gefahr, sich in Luft aufzulösen. »Ich muss gehen.« Sie stand auf. Sie würde Tonino bitten, ihr seine Version zu erzählen. Noch würde sie kein Urteil über ihn fällen, noch nicht.
    Giovanni nickte ernst. »Geben Sie acht auf sich, Tess«, sagte er.
    Als Tess zurück zur Villa Sirena ging, hatte es zu regnen aufgehört, und die Sonne war wieder hervorgekommen. Sollte sie auf dem Heimweg kurz bei Millie vorbeischauen? Warum eigentlich nicht? Vielleicht konnte sie ja etwas Licht ins Dunkel bringen. Tess machte den Umweg und betrat das Hotel Faraglione. Sie ging zur Rezeption.
    »Ist Millie da?«, fragte sie das Mädchen, das dort saß.
    »Bedaure.« Die junge Frau sprach perfekt Englisch, allerdings mit einem starken Akzent. »Sie ist in einem Gespräch und darf nicht gestört werden.«
    »Kein Problem.« Als sie das Hotel wieder verlassen hatte, glaubte Tess, ihre Freundin zusammen mit jemand anderem an einem Fenster im ersten Stock zu sehen. Die Silhouette kam ihr bekannt vor. Aber … Ach, wahrscheinlich bildete sie sich das nur ein. Außerdem hatte sie über allerhand nachzudenken. Über ihre Familie, Toninos Familie , über Il tesoro. Ganz zu schweigen von der Geschichte ihrer Mutter. Ihrer Mutter, die ihren englischen Piloten nicht vergessen hatte, die nach England gekommen war und ihn gefunden hatte.

43. Kapitel
    U nd so war Flavia nach England gekommen. Fortuna … Ihr Leben auf Sizilien war nun zu Ende.
    London im November. Flavias erster Eindruck war: Grau. Unerbittliches Grau. Auch nass war es und kalt.
    Zitternd stand sie auf dem Bahnsteig in der Victoria Station, Signor Westermans alte Reisetasche zu ihren Füßen, die feucht und schwer wie ein Stein war. Um sie herum drängten sich die Menschen mit Taschen und Koffern zu Gruppen zusammen. Ihre Gesichter waren ausdruckslos, als hätten sie Angst, genauer darüber nachzudenken, wo sie sich befanden oder woher sie gekommen waren. Andere gingen in großen Schritten den Bahnsteig entlang, manche davon rannten sogar wie in furchtbarer Eile. Flavia hörte das laute Zischen und Pfeifen der Dampfloks. Sie musste in Bewegung bleiben. Sie musste sich auf den Weg machen.
    Alles verschwamm um sie. Sie folgte dem Strom der Menschen, von denen einige wenigstens zu wissen schienen, wohin sie wollten. Sie verließen den Bahnhof. Flavia blieb stehen. Heilige Muttergottes! Ein kalter, feuchter Wind schlug ihr ins Gesicht. Sie zuckte zusammen und zog ihren hochgeschlagenen Mantelkragen fester um ihren Hals. Hohe, rote Busse, große schwarze Taxis, Menschen, Menschen, Menschen … Was jetzt? Sie umklammerte ihre Reisetasche, als könne sie ihr Trost spenden. Die Tasche war alles, was sie besaß.
    Setz dich in Bewegung, Mädchen. Sie machte einen Schritt. Eigentlich sollte sie jemanden nach dem Weg fragen und in einen Omnibus steigen. Das Geld, das sie bei sich hatte, musste mindestens so lange reichen, bis sie Peter gefunden hatte, vielleicht sogar, bis sie Arbeit hatte. Aber wie sollte sie es fertigbringen, einen dieser fremden Menschen anzusprechen? Dies war London, riesig, fremdartig und überwältigend, und jeder war offenbar schrecklich in Eile. Während sie unentschlossen dastand, wurde der Nebel um sie herum dichter. Er war klamm, beißend und

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