Ein verzauberter Sommer: Roman (German Edition)
Jahr.
Sie zögerte kurz. Eigentlich hatte sie vorgehabt, zum Meer zu gehen und ein wenig im kühlenden Wasser herumzuwaten. Aber plötzlich fühlte sie sich in die andere Richtung gezogen, auf weiter unten gelegene Felder und Olivenhaine zu. Blinzelnd sah sie in die Ferne und glaubte einen Moment lang, etwas zu erkennen. In dem goldgelben Weizenfeld zwischen den Olivenhainen blitzte es auf, als werde Licht von Metall reflektiert.
Ohne sich zu rühren, wartete sie. Unterdessen sammelten sich Schweißtropfen in ihrem Nacken und auf ihrer Stirn. Si . Da war es wieder. Ein Aufblitzen wie ein Signal, ein Zeichen.
Flavia drehte sich auf dem Absatz um, rannte zurück in die Küche, um eine Wasserflasche zu holen, und lief sofort wieder nach draußen. Sie schaute sich um. Niemand war zu sehen, denn alle versuchten, der drückenden Hitze zu entkommen, und keiner hegte den Wunsch, sich im Freien aufzuhalten. Einen Moment lang aalte sich eine Eidechse auf den kahlen weißen Felsen vor dem Haus, dann huschte sie wie der Blitz davon.
Sie ging den Weg entlang, der zum ersten Olivenhain führte. Langsam, wachsam. Doch da war nichts. Sie ging zwischen den Bäumen hindurch, die in der Sonne grau und silbrig schimmerten und deren knorrige Äste jetzt schwer von Oliven waren. Die trockene Erde unter ihnen war einmal rot gewesen, nun aber war sie zu einem blassen, staubigen Lachsrosa ausgetrocknet. Die weisen Olivenbäume schienen ebenfalls Ausschau zu halten. Nichts. Das Land pulsierte unter der Hitze, und die Grillen zirpten unablässig. Der ferne Horizont sah violett aus.
Am Ende des ersten Hains machte Flavia unter einem Baum eine kleine Pause, um aus der Flasche zu trinken. Das Wasser schmeckte wie Nektar und rann kühl und süß durch ihre trockene Kehle. Sie ließ den Blick weiter über das honigfarbene, von wildem Mohn und Klee umrahmte Weizenfeld gleiten, das in der Nachmittagssonne zu vibrieren schien. Da war es wieder, gleich hinter dem Hügelkamm. Nicht weit entfernt.
Wieder brach Flavia auf und durchquerte das Feld und den nächsten Olivenhain. Als sie den Kamm erreichte, schnappte sie nach Luft, und ihr Herz hämmerte. Einen Moment lang stand sie vollkommen regungslos da. Die Luft war schwer und still, so still.
Sie tat einen Schritt nach vorn, schaute nach unten, und da lag es vor ihr. Ein halb auseinandergebrochenes, von Trümmerteilen umgebenes Flugzeug. » O dio beddamatri «, stieß sie hervor und schlug die Hand vor den Mund. Oh, heilige Muttergottes …
Keine zwanzig Meter entfernt lag ein Mann, ein Fremder, der kalkweiß im Gesicht war, sein Bein festhielt und offensichtlich Schmerzen hatte. Ein Flieger. » O dio beddamadri …«
Flavia legte den Stift weg. Sie war erschöpft und fühlte sich wie gerädert. Und trotzdem hatte sie das Gefühl, irgendwie nicht genug getan zu haben. Sie hatte einen großen Fehler begangen, das sah sie nun langsam ein. Da war noch so viel mehr. Trotzdem hatte sie das Gefühl, dass sie noch die Zeit hatte, das Gleichgewicht wiederherzustellen. Sie konnte ihrer Tochter immer noch etwas aus ihrer Heimat schenken. Und dann wurde ihr klar, was das sein musste.
8. Kapitel
T ess holte den Leihwagen am Flughafen von Palermo ab und fuhr nach Cetaria. Sie fühlte sich stark und unabhängig und hatte jeden Gedanken an Robin gewaltsam aus ihrem Kopf verbannt. Sie brauchte ihn nicht; sie würde nicht zulassen, dass sie ihn brauchte.
Beim Blick aus dem Autofenster wurde ihr klar, dass Sizilien die ideale Ablenkung sein würde. Es fiel ihr schwer, den Blick von den grünen und grauen Berghängen zu ihrer Linken loszureißen, von der rostroten Erde, auf der hier und da Pinien und Birken wuchsen, und den kurzen Ausblicken auf das rechts von ihr liegende azurblaue Meer, über dem die Sonne schon tief stand. Aber sie musste sich auf die Straße konzentrieren. Das hier war Sizilien, sie fuhr einen Leihwagen, und sie durfte nicht vergessen, dass hier Rechtsverkehr herrschte.
Es war früher Abend und noch hell, als sie eine Stunde später das Dorf erblickte, eine Anhäufung von Häusern, die auf Terrassen gebaut waren und sich unter ihr am Meer zusammendrängten. Von einem Aussichtspunkt auf dem Hügelkamm schlängelte sich die Straße steil abwärts nach Cetaria. Sie passierte eine Kapelle mit aprikosenfarbener Stuckfassade, und bevor sie wusste, wie ihr geschah, befand sie sich schon mitten im Ort. Hohe Gebäude mit geschlossenen Fensterläden standen auf beiden Seiten des Kopfsteinpflasters,
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