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Ein verzauberter Sommer: Roman (German Edition)

Ein verzauberter Sommer: Roman (German Edition)

Titel: Ein verzauberter Sommer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliet Hall
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spürte Tess die Schönheit dieses Orts, die Geschichte in den großen Kopfsteinen, die im Lauf von Jahrhunderten ausgetreten worden waren, und in den verwitterten Gebäuden mit ihren Säulengängen. Der baglio war ein uralter umbauter Platz und sah aus wie ein ehemaliger Herrensitz mit einem großen Innenhof, um den sich heute kleine Läden, Galerien und ein Restaurant gruppierten. Eine Hinterlassenschaft der Araber, vermutete sie. In ihrem Reiseführer hatte sie gelesen, dass Sizilien besonders im Westen stark arabischen Einflüssen ausgesetzt gewesen war.
    Sie überquerten den baglio und passierten einen hohen, eleganten Eukalyptusbaum mit fleckiger Rinde und einen alten steinernen Trinkbrunnen. Tess hätte gern ein paar Fragen gestellt, aber sie wollte auch ankommen. Sie brannte darauf, die Villa zu sehen.
    Auf der anderen Seite des Platzes kamen sie an einer Art Atelier vorbei. Tess betrachtete es fasziniert; im Schaufenster standen und lagen zahlreiche Gläser, Schmucksteine und Mosaike. Sie wurden von winzigen Lämpchen erhellt, die rund um die Auslage verteilt waren. »Was ist das hier?«
    Giovanni sah sich kaum um. »Touristenzeug«, versetzte er wegwerfend. »Wie nennen Sie das noch? Wertloser Kitsch. Darum sollten Sie sich nicht kümmern.«
    »Tatsächlich?« Für Tess sah das nicht nach Kitsch aus, sondern magisch, wie aus einer anderen Welt. Lag hier ein Verständigungsproblem aufgrund der Sprachbarriere vor, oder wollte Giovanni Sciarra ihr jetzt etwa schon vorschreiben, was sie zu denken hatte? Sie hatte keine Zeit, sich länger damit zu beschäftigen, weil sie praktisch rennen musste, um ihn einzuholen.
    Neben der Werkstatt führten einige Stufen nach unten, an einen felsigen Strand und zum Meer. »Das ist wunderschön«, murmelte sie. Der Himmel hatte sich zu einem tiefen Indigoblau verdunkelt, und das Meer schimmerte wie blank poliert im Schein eines fast vollen Mondes. Mehrere Felsbrocken hoben sich vor dem Hintergrund des Himmels ab.
    Selbst Giovanni hielt inne. »Die schönste Aussicht von Europa«, erklärte er, als sei das in irgendeiner Weise sein Verdienst.
    Dagegen konnte Tess kaum Einwände erheben.
    »Und sie gehört Ihnen.«
    Kurz verstand sie nicht, was er meinte. Dann schaute sie nach oben, in die Richtung, in die er zeigte. Eine weitere Treppe führte in Serpentinen zu einem Gebäude hinauf, das auf dem Gipfel der Klippe zu kauern schien. Es war eine Villa, soweit sie im Halbdunkel erkennen konnte, im Stil der 1930er-Jahre erbaut. »O mein Gott«, stieß sie hervor. »Das ist doch nicht …?«
    »Die Villa Sirena.« Er nickte. »Kommen Sie.«
    Tess folgte ihm. Als Muma von der »Großen Villa« gesprochen hatte, da hatte sie angenommen, sie meinte »groß« im Gegensatz zu dem kleinen Steinhäuschen, in dem ihre Familie gelebt hatte. Aber das hier war, nun ja, wirklich groß. Es sah nicht nur nach einem interessanten Stück Architektur aus und hatte eine herrliche Aussicht, sondern es war auch groß. Richtig groß. Und es gehörte ihr. Ihr stockte fast der Atem.
    Am oberen Ende der Treppe erreichten sie ein schwarzes, schmiedeeisernes Tor in einer hohen Steinmauer. Ein Schild verkündete »Privato« , und Tess sah zu, wie Giovanni das Tor mit dem kleineren der beiden Schlüssel aufschloss. Mit einem Knarren von rostigen Angeln schwang das Tor auf, und sie folgte Giovanni durch das dichte überhängende Laubwerk, das das Tor überwucherte.
    Sie kamen auf der anderen Seite der Mauer neben dem Haus heraus und gingen um das Gebäude herum zur Vorderfront. Dort führte eine weitläufige, mit Kieseln bestreute Terrasse auf die Eingangstür zu. Über der Holztür befand sich ein Oberlicht und darüber Stuck. Rechts neben der Tür hing eine alte Lampe, die nicht brannte. Sie sah dennoch, dass über dem Oberlicht und dem Stuck ein Motiv in den Außenputz eingelassen war. Aber sie konnte nicht erkennen, was es darstellen sollte.
    Giovanni wischte ein wenig abgeblätterte Farbe weg, schob den großen Schlüssel ins Schloss und öffnete die Tür mit einer weit ausholenden Bewegung. »Die Villa Sirena«, sagte er noch einmal.
    Aber so, wie er da stand, versperrte er ihr den Weg, und sie nahm ein leises Zucken um seinen Mund wahr.
    War er vielleicht neidisch? Zum ersten Mal fragte sie sich, wie man sie hier aufnehmen würde. Schließlich war sie eine Fremde und Ausländerin noch dazu. Vielleicht waren die Leute der Meinung, dass sie kein Recht hatte, hier zu sein. Und dann war da ja auch noch die

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