Ein vortrefflicher Schurke (German Edition)
ihn eingeholt hatte, um ihrer beider Leben zu ruinieren, würde sie das ganze Vertrauen verlieren, das sie in ihn gesetzt hatte. Seine Familie ebenfalls. Niemand würde ihm mehr vertrauen. Er würde wieder der Versager sein, der nutzlose Zweitgeborene. Und das wollte er auf keinen Fall. Er hatte hart gearbeitet, um das hinter sich zu lassen.
Vielleicht hatte er Glück, und die Regierung beschloss, ihm zuliebe eine Ausnahme zu machen.
Und wenn nicht?
Ravenswood hatte gesagt, seine Vorgesetzten wollten ihn so sehr, dass sie ihm politische Gefälligkeiten erweisen würden. Und er wusste genau, um welchen Gefallen er bitten würde, auch wenn es darauf hinauslief, dass die Regierung Newmarshs Erpressungsversuch nachgeben und er wieder für Ravenswood arbeiten musste.
Zur Hölle mit alldem!
Wutentbrannt stürmte er ins Hotel, ohne den Gastwirt zu beachten, der sich bemühte, seine Aufmerksamkeit zu erlangen, als er durch das Foyer lief. Nachdem er die Treppe hinaufgeeilt war, tappte er auf Zehenspitzen durch den Flur, wie er es auch tat, wenn er sich auf der Suche nach Informationen irgendwo einschlich. Etwas schwieriger war es, die Tür geräuschlos aufzuschließen, aber auch das gelang ihm.
Und so war es ein rechter Schock für ihn, als er sie öffnete und Minerva im Bett sitzen und lesen sah. Einen halben Atemzug lang hoffte er, sie habe lediglich auf seine Rückkehr aus dem Aufenthaltsraum gewartet, doch als sie das Buch zur Seite legte und ihn vergrämt ansah, wusste er, dass seine Hoffnung vergebens war.
»Wo zum Teufel bist du gewesen?«, fragte sie, und in ihren Augen spiegelte sich maßlose Enttäuschung.
Er war in großen Schwierigkeiten.
20
Minerva wurde das Herz schwer, als Giles sich schweigend seine Jacke auszog und ihr den Rücken zukehrte, um sie über die Lehne eines Stuhls zu hängen. »Und? Ich war unten im Aufenthaltsraum und habe dich gesucht.«
Er hielt inne, während er seine Weste aufknöpfte. »Du vertraust mir also immer noch nicht.«
»Damit hat es nichts zu tun. Ich konnte auch nicht schlafen und dachte, wir könnten zusammen ein Glas Wein trinken.« Die Halbwahrheit ging ihr nicht eben leicht über die Lippen. Sie zwang sich fortzufahren und bemühte sich, nicht wie eine vorwurfsvolle Ehefrau zu klingen. »Aber du warst nicht im Hotel.«
Er zog seine Weste aus und legte sie ordentlich über den Stuhl. »Als der Wein nicht half, bin ich spazieren gegangen.«
Seine Erklärung war plausibel – bis auf eines. »Der Gastwirt sagte, er habe dich gar nicht im Aufenthaltsraum gesehen. Er schien zu denken, du seiest hier oben im Zimmer.« Als Giles schwieg, fügte sie leise hinzu: »Du hast mir versprochen, mich nicht zu belügen.«
»Das tue ich auch nicht«, blaffte er. »Stell mir einfach keine Fragen über Dinge, die dich nichts angehen!«
Das Messer drang so schnell ein, dass es einen Moment dauerte, bis sie es gewahr wurde. Dann setzte der Schmerz ein, der ihr durch Mark und Bein ging. »Ich verstehe«, sagte sie mit erstickter Stimme, drehte sich um, legte ihr Buch auf das Nachtschränkchen und zog sich die Decke bis ans Kinn.
Giles fluchte leise vor sich hin. »Verdammt, Minerva, es tut mir leid! Ich habe es nicht so gemeint, wie es klang.«
»Wie hast du es denn gemeint?« Sie bemühte sich, ruhig zu bleiben, doch als er zögerte, drehte sich das Messer in ihrer Brust, und ihre Stimme bebte, als sie fragte: »Warst du … warst du bei einer anderen Frau?«
»Bei einer anderen Frau!«, rief er voller Empörung. »Gott, nein! Das würde ich dir niemals antun.«
Er klang so entschieden, dass sie ihm gern glauben wollte.
Als er ans Bett kam, stand jedoch ein Ausdruck von Hilflosigkeit in seinen Augen. »Ich musste mich um eine geschäftliche Angelegenheit kümmern«, fuhr er fort, »und ich wollte nicht, dass du denkst, wir wären … wir hätten diese Reise …«
»Nicht nur als Hochzeitsreise unternommen?«
»Ja! Genau.« Er entledigte sich rasch seiner restlichen Kleidung und schlüpfte zu ihr ins Bett. »Das ist alles. Ich schwöre!«
Sie spürte, dass es nicht so war. Seine Unruhe tagsüber, sein entsetzter Gesichtsausdruck, als er hereingekommen war und sie wach vorgefunden hatte – alles deutete darauf hin, dass es um mehr ging als eine geschäftliche Angelegenheit.
Erstens gab es keinen Grund, warum er sie nicht über einen Geschäftstermin hätte informieren können, und zweitens: Wer verabredete sich schon mitten in der Nacht? Und warum wollte er ihr nicht in
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