Ein Weihnachtswunder zum Verlieben - Roman
soll das gut sein?«, fragt Lily ungeduldig.
»Bitte, was?« Ich bin in Gedanken schon wieder ganz woanders.
»Das da!« Sie zeigt auf mein Top. »Immer schön bei der Sache bleiben, Darling.«
»Ach«, meine ich achselzuckend und schäme mich plötzlich ein bisschen. »Ich … ich weiß es gar nicht so genau. Ich wollte bloß mal schauen, wie es aussieht. Ich glaube, ich hatte genug davon, immer auszusehen wie ich.« Ein Blick in ihre besorgten und zugleich interessierten Gesichter verrät mir, dass ich einfach frei von der Leber weg erzählen und ihnen mein Herz ausschütten kann, und wichtiger noch, dass sie mir aufmerksam zuhören werden. »Um ganz ehrlich zu sein, ich will einfach nicht mehr unsichtbar sein. Ich habe es satt, dauernd übersehen zu werden, und ich habe die Nase voll davon, darauf zu warten, dass sich etwas ändert, denn es ändert sich einfach nichts.«
»So einen Unsinn habe ich ja noch nie gehört!«, ruft Lily empört. »Was macht es schon, dass sie dich nicht befördert haben? Dann ergibt sich eben demnächst etwas anderes. Du musst bloß ein bisschen positive Energie nach außen tragen. Und was deine übliche Arbeitskleidung angeht, nun ja«, sie stupst mich an und zwinkert mir zu, »du wärst ein bildhübsches Mädchen, wenn du dich nur ein klitzekleines bisschen zurechtmachen würdest. Hast du es mal mit rotem Lippenstift versucht?«
Ich muss kichern, als ich mir vorstelle, wie ich als Mini-Lily herumlaufe, fünfzig Jahre jünger, aber nicht halb so mondän. »Das würde ich sofort ausprobieren, aber ich fürchte, ich würde nicht mal ansatzweise so umwerfend aussehen wie du«, sage ich lachend.
»Weißt du, Darling«, meint sie verschwörerisch, »das Beste,was du tun kannst, wenn du jemanden beeindrucken willst, ist einfach, du selbst zu sein.«
»Aber Lily, ich habe dir doch schon gesagt, ich will gar niemanden beeindrucken.« Und damit trinke ich meinen Tee aus, schnappe mir meinen Mantel und stehe auf.
»Aha!« Sie wackelt mit dem Zeigefinger vor meiner Nase herum. »Dann solltest du fürs Erste einfach nur mit dir selbst zufrieden sein. Du bist perfekt, genau so wie du bist.«
Dankbar lächele ich die beiden an. »Ihr habt mich wirklich sehr aufgemuntert, viel mehr als dieses dusslige Top. Danke, Ladys.«
»Auf Wiedersehen, mein Liebes«, sagt Iris und winkt mir königlich zu. »Bis nächsten Monat!«
Tief in Gedanken versunken laufe ich zurück zur Treppe. Ich beschließe, zu Carly in die Einkaufsberatung im ersten Stock zu gehen, um herauszufinden, was mit diesem umwerfenden Kerl weiter passiert ist, den sie vorhin gesehen hat. Der Laden ist wie üblich menschenleer. Ich gehe durchs Erdgeschoss und sehe Gwen und Jenny, die in entgegengesetzten Ecken ihrer Abteilung stehen, ein gelangweiltes und doch etwas verzweifeltes Lächeln auf den Lippen, Zerstäuber im Anschlag, bereit, sich auf den erstbesten Kunden zu stürzen, der nichtsahnend an ihnen vorbeigeht. Ein Blick zur Lederwarenabteilung, und ich sehe, dass Becky noch immer ihre Poren begutachtet. Oben im ersten Stock entdecke ich Jane aus der Unterwäscheabteilung, die sich gegen die Brüstung lehnt, während sie ein Törtchen futtert und mit einer Hand beige BHs in kleine Häufchen sortiert. Und Barbara aus der Schuhabteilung sitzt auf ihrem kleinen Messschemel und starrt gedankenverloren ins Nichts. Ich schaue bei der Einkaufsberatung rein, doch es ist niemand am Schalter. Mit Rufen versuche ich mich bemerkbar zu machen, aber es scheint mich niemand zu hören. Vielleicht wartet Carly ja noch im Warenlager auf mich.
In Gedanken bin ich gerade so damit beschäftigt, mir das Kaufhaus zu Zeiten von Walter Hardy junior auszumalen, dass ich gar nicht merke, dass jemand hinter mir steht, bis er mir sanft auf die Schulter tippt. Das Herz schlägt mir bis zum Hals, als mir aufgeht, dass ich nicht wieder in den Mantel geschlüpft bin. Auf das Schlimmste gefasst kneife ich die Augen zu und drehe mich dann langsam um, in der Erwartung, mir einen ordentlichen Rüffel von Sharon abzuholen.
»Keine Sorge, ich wollte das Top sowieso gerade ausziehen. Ich wollte es bloß mal kurz überziehen und …« Ich mache die Augen wieder auf und erwarte eigentlich, Sharons missbilligendes Gesicht zu sehen, doch stattdessen steht da ein großer dunkelhaariger Mann mit breiten Schultern, schön wie ein Filmstar, mit einem Kinn, mit dem man Nüsse knacken könnte, und forschendem Blick aus strahlend blauen Augen, die mich gerade amüsiert
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