Eine Braut zu Weihnachten
böse an. »Wie konntest du so etwas denken?«
»Ich bin sicher, dass sie damit nicht sagen wollte …«
»Wie könnte ich das nicht denken?«, fauchte Portia. »Du bist so liberal und eigenständig und voller Selbstbewusstsein, voller Selbstsicherheit. Andauernd redest du darüber, dass Frauen wählen sollten und Zugang zu Männerclubs haben sollten, sie ihre Finanzen selbst verwalten sollten und dass wir unser Leben genauso selbstbestimmt führen können wie Männer. Und dass du lieber die Geliebte eines Mannes wärst als eine Ehefrau. Du hast immer alles bekommen, was du wolltest, weil du nie gezögert hast, es dir zu nehmen. Und da dachte ich eben, dass du auf diesem speziellen Gebiet genauso … so perfekt wärst wie ein Mann!«
Veronica starrte sie ungläubig an. Sie wusste nicht, ob sie wütend sein sollte oder …
»Danke.«
»Gern geschehen«, sagte Portia. »Im Übrigen habe ich das alles immer sehr an dir bewundert. Du tust, was du willst, ganz gleich, was andere Leute denken. Ich bin in so gut wie gar nichts deiner Meinung, aber ich finde, dass du ungeheuer mutig bist. Und wenn ich wählen könnte, wäre ich lieber du als ich!«
»Ach, du meine Güte«, murmelte Julia.
»Ich hoffe, dich nicht enttäuscht zu haben«, sagte Veronica.
»Weil du kein Flittchen bist?« Portia winkte mit einer lässigen Handbewegung ab. »Man lernt, mit Enttäuschungen zu leben, Veronica.«
Julia schnaubte.
»Ich werde mir Mühe geben, mich zu bessern.« Veronica verkniff sich ein Grinsen. »Oder zu verschlechtern, so wie die Dinge liegen.«
»Dann sieh zu, dass du es tust«, gab Portia zurück.
Julia blickte von einer Freundin zur anderen. »Das ist das absurdeste Gespräch, das wir je hatten«, sagte sie kopfschüttelnd. »Ich kann meinen Ohren fast nicht trauen. Die stets so artige Portia ermutigt Veronica, die nie zu irgendwas ermutigt werden musste, unartig zu sein!«
»Es klingt absurd, wenn du es so ausdrückst«, murmelte Portia.
Veronica starrte sie an, als ihr plötzlich eine Erkenntnis kam. »Aber du hast recht.« Sie wandte sich Julia zu. »Sie hat völlig recht!«
Julias Augenbrauen zogen sich zusammen. »Hat sie?«
»Habe ich?« Ein Anflug von Argwohn schwang in Portias Stimme mit.
»Absolut. Ich bin immer meinen eigenen Weg gegangen. Ich habe nie an mir gezweifelt. Und ich habe mich noch nie von jemandem verwirren lassen, schon gar nicht von einem Mann.«
Julia zog eine Augenbraue hoch. »Er verwirrt dich?«,
»Ganz bestimmt nicht «, sagte Portia mit leichtem Spott in der Stimme.
»Liebes, es tut mir leid, dass ich dich schon wieder enttäuschen muss, aber so ist es. Dieser Mann schafft es, mich durcheinanderzubringen und mir das Gefühl zu geben …« Sie überlegte einen Moment. »Als wäre ich überhaupt nicht mehr ich selbst. Das ist es. Ich bin zu einem zaghaften, unsicheren Geschöpf geworden, das sich über Dinge wie Sicherheit Gedanken macht.«
»Oh nein, nur das nicht!«, sagte Julia mit unverhohlener Belustigung.
Veronica ignorierte sie. »Allerdings glaube ich nicht, dass er es bemerkt hat.«
»Und wohl auch sonst niemand«, flüsterte Portia.
»Stellt euch nur mal vor, dass ich im Park getan habe, was er wollte! Dass ich ihn sozusagen die Zügel übernehmen ließ. Er wollte zu Fuß gehen, und wir sind zu Fuß gegangen.«
»Bei diesem Wetter und in deinen Schuhen?«, fragte Portia. »Das kann ich mir nicht vorstellen.«
»Und dann hat er Tante Lotte eingeladen, uns gestern Abend als Anstandsdame ins Theater zu begleiten, und er will sie auch zu einem Bankett im Explorers Club mitnehmen. Wir alle wissen, dass ich Anstandsdamen noch nie für erforderlich hielt, und trotzdem habe ich nicht mal protestiert.«
»Gott, ja, das ist schon merkwürdig«, stimmte Julia ihr zu.
»Ein Mann mit seinem Ruf wird nicht über Nacht zu einem perfekten Gentleman. Er führt irgendwas im Schilde.« Veronica trommelte mit den Fingern auf den Tisch. »Ich weiß nicht, was – offensichtlich keine direkte Verführung –, aber ich gedenke, es herauszufinden. Kein Mann ist so perfekt.«
»Veronica, Liebes.« Julia legte ihre Hand auf die ihrer Freundin. » Du bist es, die etwas im Schilde führt. Du kannst ihm wirklich nicht …«
»Nein«, unterbrach Portia sie kopfschüttelnd. »Veronica hat recht. Das klingt überhaupt nicht nach dem Sebastian, den ich kenne. Ich hätte eher erwartet, dass er unangekündigt vor deiner Tür erschienen wäre, wenn er sicher sein konnte, dass du allein warst, und
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