Eine Frau, eine Wohnung, ein Roman
hörte kaum hin. Ereignisse dieser Art konnte ich inzwischen in einer Art Halbaufmerksamkeit beobachten, festhalten und gleichzeitig vergessen. Mit Frau Finkbeiner zusammen machte ich mich ein bißchen über die Freizeitmenschen lustig. Ich stieß mich an ihrem Drang, wie sie sich nach dem Vorbild von Großbürgern mit einem Golfschläger in der Hand (oder gar mit dem Schläger auf der Schulter) fotografieren ließen. Ich beobachtete ihre falsch gelernte Lässigkeit, mit der sie ihre Billigschuhe auf die Ränder der Golfbahnen stellten. Und ich lachte über das peinliche Getue, mit dem sie dann an der Bar für ein paar Pfennige eine Cola bestellten. Sie fanden es überwältigend, die Imitation von Vorbildern zu sein, die niemals in ihrer Nähe auftauchen würden. Schon während der Nachahmung vergaßen sie, daß sie Nachahmungen waren. Nach etwa zehn Minuten fragte mich Frau Finkbeiner: Haben Sie nicht neulich gesagt, daß Sie eine Wohnung suchen?
Ja, sagte ich.
Suchen Sie immer noch?
Ich habe noch gar nicht richtig angefangen, sagte ich.
Wenn Sie mit einem kleinen Appartement zufrieden sind, könnte ich Ihnen vielleicht weiterhelfen.
Mehr als ein kleines Appartement kann ich mir gar nicht leisten, sagte ich.
Es ist mein Appartement, sagte Frau Finkbeiner. Ich werde in Kürze heiraten und aufhören zu arbeiten.
Oh, machte ich, weil mir sonst nichts einfiel.
Sie können in meinen Mietvertrag einsteigen, dann müssen Sie keine Maklergebühren zahlen.
Wo liegt das Appartement?
In der Stresemannstraße, sagte Frau Finkbeiner, in einem Neubau. Ich habe nur ein Jahr lang darin gewohnt, Sie müßten nicht unbedingt renovieren.
Wie hoch ist die Miete?
Hundertzwanzig, sagte Frau Finkbeiner.
Eigentlich hatte ich die Absicht, den Wunsch nach einer eigenen Wohnung noch eine Weile mit mir herumzutragen und ihn dabei deutlicher werden zu lassen. Dennoch sagte ich: Wann wird die Wohnung frei?
Zum nächsten Ersten.
Das ist bald, sagte ich.
Wenn Sie wollen, können Sie das Appartement gleich anschauen, wenn diese Darbietung hier zu Ende ist.
Nach zehn Minuten machten wir uns auf den Weg. Die Stresemannstraße lag am Rand der Innenstadt. Das Haus war ein einfacher, kastenförmiger Bau, vier Stockwerke hoch, mit kleinen Fenstern und nur angedeuteten Balkons. Frau Finkbeiners Appartement lag in der dritten Etage. Hinter der Eingangstür öffnete sich ein schmaler, niedriger Schlauch. Die linke Seite des Schlauchs war zu einer Kochnische ausgebaut. Auf der rechten Seite befand sich die Tür zu Toilette und Dusche. Der Raum am Ende des Flurs ähnelte einer groß geratenen Schachtel. Die Decke war niedrig, die beiden Seitenwände waren einander zu nah. Das Appartement war kaum mehr als ein Klo mit etwas Umgebung. Ich konnte dabei zuschauen, wie in mir ein Zellengefühl entstand. Dennoch war ich kaum bedrückt. Trotz der Enge fühlte ich die Erregung eines anderen, neuen Lebens, das in diesen Augenblicken seinen Anfang nahm.
Ich nehme die Wohnung, sagte ich.
An einem Montag, wieder in der Mittagspause, stellte mich Frau Finkbeiner der Wohnungsbaugesellschaft als Nachmieter vor. Im Büro nannte mich Frau Finkbeiner einen Kollegen. Als sie sagte, daß ich beim Tagesanzeiger arbeitete, mußte ich nicht widersprechen. Es gab damals kaum etwas Seriöseres als die Verbindung zu einem Lokalblatt. Ich mußte die Wohnung nicht renovieren lassen und ich mußte Frau Finkbeiner keinen Abstand zahlen. Nach einer halben Stunde war der neue Mietvertrag fertig. Frau Finkbeiner übergab mir die Schlüssel zu meiner ersten eigenen Wohnung. Auf der Straße war ich halb erregt und halb erschüttert. Der plötzlich greifbar gewordene Abschied von den Eltern machte mich weich und schwächlich. Der Krieg hatte meine Eltern grob, stumm und müde gemacht. Erst zwanzig Jahre später war es mir möglich, mich in dieses Restkriegsleben angemessen einzufühlen. Jetzt war ich auf unfrohe Weise froh, die Eltern in Kürze verlassen zu dürfen. Aus Schwäche stellte ich mich auf dem Marktplatz hinter ein paar Menschen, die einem Freizeitmaler beim Malen zuschauten. Der Mann hatte im Krieg beide Arme und beide Beine verloren. Sein Rumpf lehnte in einer Art Holzverschlag. Zwischen den Zähnen hielt er einen dünnen Pinsel, mit dem er ein kleines Stück Leinwand bemalte. In kurzen Abständen beugte der Mann den Kopf und tauchte den Pinsel in ein winziges Gefäß mit Wasser, das seitlich an seinem Holzverschlag befestigt war. MIT DEM MUNDE GEMALT stand auf
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