Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eine Frau in Berlin

Eine Frau in Berlin

Titel: Eine Frau in Berlin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anonyma
Vom Netzwerk:
klopfte ein Russe ihn mit einem Nagel gleich wieder fest.
    Ringsum in den Schrebergärten Biwak unter Blütenbäumen. Geschütze sind in die Beete gerammt. Vor den Lauben pennen Russen. Andere tränken die Pferde, die in den Lauben Unterstand fanden. Mit Erstaunen sehen wir die vielen Soldatenmädchen in Feldbluse, Rock und Baskenmütze mit Abzeichen, offenbar reguläre Truppenangehörige, meistens blutjung, klein, fest und glattgekämmt. In Bütten waschen sie ihr Zeugs. Hemden und Frauenblusen tanzen auf schnellgespannten Leinen. Und darüber weg heulen die Orgeln, und schwarzer Qualm steht wie eine Wand vor dem Himmel.
    So gestern früh, so heute. Heute traf ich auf dem Heimweg Herrn Golz, parteigläubig bis zuletzt. Nun hat er sich angepaßt. Er tippte einem vorübergehenden Russen auf seine in Zellophan gehüllten bunten Ordensbänder über der Brusttasche, fragte: »Orden?« (Es ist deutsch und russisch dasselbe Wort, wie er mich belehrte; von meinen Sprachkenntnissen ahnt er nichts.) Er gab mir ein kleines Heft, ein deutschrussisches Soldatenwörterbuch, sagte, daß er deren noch mehr bekommen könnte. Ich hab es bereits durchstudiert. Es steht eine Menge sehr nützlicher Vokabeln darin, wie Speck, Mehl, Salz. Andere wichtige Wörter wie »Angst« und »Keller« fehlen. Auch das Wort »tot«, das ich damals auf meiner Reise nicht brauchte, fehlt mir jetzt öfters in der Unterhaltung. Ich ersetze es durch das gut verständliche »kaputt«, das noch für vieles andere paßt. Dafür enthält das Wörterbuch Ausdrücke, für die wir beim besten Willen jetzt keine Verwendung haben, wie »Hände hoch!« und »Stillgestanden!«. Höchstens könnte es sein, daß man uns jetzt so anspricht.
    Nun zurück, zum Samstag, dem 28. April, abends. Gegen 20 Uhr zog Petka mit den Seinen ab. Irgend etwas Dienstliches rief die drei Burschen weg. Petka brummte was von Bald-wieder-kommen, aber so, daß der Oberleutnant es nicht hörte. Dabei quetschte er mir wieder die Finger und versuchte, mir in die Augen zu blicken.
    Im übrigen merkwürdig geringe Wirkung der Offizierssterne auf die Mannschaften. Ich war enttäuscht. Keiner fühlte sich in seiner Gemütlichkeit durch Anatols Rang gestört. Anatol setzte sich auch ganz friedlich dazu und lachte und quatschte mit den anderen, panschte ihnen die Gläser voll und ließ sein Kochgeschirr kreisen. Mir wird etwas bange für mein Tabu. Die uns vertraute preußisch-militärische Rangordnung gilt hier offenbar nicht. Die Besternten entstammen keiner besonderen sozialen Schicht, stehen herkunftsmäßig und bildungsmäßig in keiner Weise über den Mannschaften. Sie haben keinen besonderen Ehrenkodex und schon gar keine andere Haltung gegenüber den Frauen. Die abendländischen Traditionen von Ritterlichkeit und Galanterie haben Rußland gar nicht gestreift. Es gab dort, soweit ich weiß, keine Turniere, keinen Minnegesang, keine Troubadours, keine schleppentragenden Pagen. Woher soll es also kommen? Das sind alles Bauernjungs. Auch Anatol ist einer. Zwar reicht mein Russisch nicht aus, um aus Wortwahl und Sprechweise dem einzelnen Mann, wie ich es in anderen Sprachen wohl könnte, seinen Beruf oder seine Bildung auf den Kopf zuzusagen. Und über Literatur und Kunst hab ich noch mit fast keinem sprechen können. Doch spüre ich, daß diese Burschen bei aller Lautheit des Auftretens mir gegenüber innerlich unsicher sind, daß es einfache, unverwöhnte Männer sind, Kinder des Volkes.
    Immerhin ist Anatol wenigstens ein vollsaftiges Zweizentner-Mannsbild. Vielleicht wirkt sein Gewicht, wenn die Leutnantssterne versagen. Mein Entschluß jedenfalls wankt nicht. Anatol zieht wie ein Komet einen Schweif junger Leute hinter sich her, knabenhafte Soldaten, die allesamt inzwischen in der von den Puddingtanten verlassenen Wohnung Unterschlupf gefunden haben. Ein richtiges Kind ist darunter; ein kleines Gesicht, ein strenger, gesammelter Blick aus schwarzen Augen – Wanja, sechzehn Jahre alt. Die Witwe zieht mich beiseite und tuschelt, der könne es gewesen sein, diese Nacht auf dem Treppenabsatz – es sei so ein kleines, glattes Gesicht, so ein schmaler Körper gewesen. Wanja allerdings gibt kein Zeichen des Erkennens, kann es wohl auch nicht geben, da er die Frau, die er in tapsiger Knabenart nahm, nur gefühlt, nicht gesehen hat. Trotzdem ist mir so, als ob er wüßte, wer sie ist; denn ihre Stimme hat er ja gehört, die Witwe hat es mir erzählt, wie sie geweint und gebettelt hat. Jedenfalls

Weitere Kostenlose Bücher