Eine Frau mit Geheimnis
seiner Kehle rang sich ein heiseres Stöhnen und fand ein Echo in Alex’ Herz.
Nur noch ein Schritt – und sie stand neben seinem Körper, der sich hin und her wand. So wollte sie ihn nicht in ihrer Erinnerung behalten. Er musste stark sein. Von innerem Frieden erfüllt …
Behutsam legte sie eine Hand auf seine gefurchte Stirn. „Ganz ruhig, Dominic.“
Schon nach wenigen Sekunden lockerten sich angespannten Muskeln, und er lag ruhig da. Ja, dieses Bild würde sie sich einprägen – so, wie er jetzt aussah, stark und verletzlich zugleich. Von ihr verletzt.
Nach dem nächsten Tag würden sie einander nie wiedersehen. Trotzdem gehörte er zu ihr – und sie zu ihm.
Ein plötzlicher Luftzug ließ die Kerze flackern. Wie ein kalter Winterwind drang die Realität in den Raum. Sie wagte es nicht, Dominic zu wecken.
Und sie durfte nicht in seinem Zimmer ertappt werden. Wenn die Kerzenflamme erlosch … Nach einem letzten liebevollen Blick auf sein Gesicht schlich sie zur Tür, öffnete sie und blieb kurz stehen. „Leb wohl, Dominic“, wisperte sie.
Dann schloss sie die Tür.
„Nein! Kein Abschied! Bleib hier!“ Kerzengerade saß Dominic im Bett. Ein Teil der Laken lag am Boden, der schwache Geruch von Kerzenrauch erfüllte die Luft.
Diese Kerze hatte er nicht angezündet und gelöscht, ohne zu erwachen, oder? Und warum hallten diese Worte in seinem Gehirn wieder? Leb wohl, Dominic … Hatte er nach ihr gerufen und sie gebeten, bei ihm zu bleiben?
Offenbar hatte er geträumt. Je früher er nach Aikenhead zurückkehren und sich ausruhen würde, desto besser. Dort würden ihn diese quälenden Erinnerungen hoffentlich nicht mehr verfolgen.
Heiliger Himmel, diesmal war wieder die kleine Französin aus dem brennenden Stall durch seinen Traum gegeistert, in einem weißen Nachthemd, mit kurzem Haar. Ihre sanfte Hand hatte seine Stirn berührt. Tröstliche Finger … Und sie hatte gesprochen – Abschiedsworte.
Was sollte das bedeuten? Drohte er den Verstand zu verlieren?
Er tastete nach seiner Zunderbüchse und zündete eine Kerze an. Verwundert musterte er das zerwühlte Bettzeug, die Laken am Boden. Hatte er sich so heftig umhergewälzt?
Vermutlich. In letzter Zeit hatte er sehr oft unruhig geschlafen. Zu oft. Und meistens verfolgte er in seinen Träumen Alexandra und überwand seltsame Hindernisse, um sie zu erreichen. Jedes Mal verschwand sie.
Aber wieso war diesmal die kleine Französin in seinem Traum erschienen? Jetzt begehrte er die schottische Lady, nicht die Französin. An jene junge Frau hatte er nach dem Maskenball nie mehr gedacht. Trotzdem träumte er von ihr. Und er hatte mit ihr gesprochen. Unbegreiflich …
Er hob die Laken vom Boden auf und bedeckte seinen Körper, blies die Kerze aus und drehte sich zur Seite. Jetzt wollte er ruhig und friedlich schlafen, weder von Alexandra noch von der kleinen Französin träumen, nicht einmal von dem bedauernswerten Alexandrow und dessen deplatzierten Gefühlen. Er würde einfach nur schlafen.
Die Augen geschlossen, ließ er seine Gedanken wandern – gleichgültig, wohin sie ihn führen mochten. Im Halbschlaf ging ihm eine Frage durch den Sinn, die mit Kerzenwachs zusammenhing. Zu spät – ehe er darüber nachdenken konnte, übermannte ihn der Nebel des Schlummers.
Inzwischen etwas ruhiger, stellte Alex die Kerze auf den kleinen Tisch am Fenster, neben das Schreibzeug, das bereitlag. Sie setzte sich, tauchte den Federkiel ins Tintenfass und schrieb das Erstbeste nieder, was ihr einfiel. Dominic Aiken head, Duke of Calder … Die Worte schienen sie anzuschreien – und halfen ihr endlich, das Problem zu lösen.
Ja, sie würde ihm schreiben und die Wahrheit gestehen. Dann würde er wissen … Was? Dass er auf dem Maskenball mit einer Halbrussin getändelt hatte, die ihm als Husarenoffizier ihre englischen Sprachkenntnisse verheimlichte und das ganze russische Heer hinsichtlich ihrer Identität täuschte?
Seufzend legte sie die Feder beiseite und stützte ihren Kopf in die Hände. Nein, unmöglich – ein solches Geständnis käme einer Katastrophe gleich. Gewiss war es besser, die Dinge auf sich beruhen zu lassen.
Sie sprang auf und begann umherzuwandern. Vor zwei Tagen hatte sie geglaubt, sie würde Dominics Verachtung ertragen. Doch sie konnte es nicht. Sie liebte ihn. Und wenn sie ihn für immer verließ, durfte er nicht schlecht von ihr denken.
Also würde sie ihm schreiben – nur was er nach ihrer Meinung wissen musste. Diesen Brief würde
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