Eine für vier 01 - Eine für vier
Sekunde hatte sie den steinigen Grund des Teichs unter den Füßen und stand auf.
Sie sog zischend die Luft ein. Da war jemand. Sie sah den Schatten einer Gestalt, die hinter einem Baum verborgen war. War das ein Mensch? Ein Tier? Gab es gefährliche Raubtiere auf Santorin?
Ihr Friede war dahin, restlos zerschlagen. Sie spürte, wie ihr das Herz fast aus der Brust sprang.
Die Angst wies sie an, ihren Körper wieder unter Wasser zu tauchen, aber eine noch größere Angst riet ihr zum Weglaufen. Sie stieg aus dem Teich. Die Gestalt trat hervor.
Es war Kostos.
Sie hatte Kostos unmittelbar vor sich. Und, was weitaus schlimmer war, Kostos hatte sie unmittelbar vor sich. Sie war so verdutzt, dass sie im ersten Augenblick nicht reagieren konnte.
»K-Kostos!«, rief sie mit rauer Stimme, die zu einem Kreischen wurde. »Was machst du... was...«
»Entschuldige«, sagte er.
Er hätte den Blick abwenden müssen, aber das tat er nicht.
Mit drei Schritten war sie bei ihren Sachen, riss sie an sich und hielt sich das Bündel vor, um sich zu bedecken. »Bist du mir hinterhergelaufen?«, fragte sie und schrie fast dabei. »Hast du mir nachspioniert? Wie lange bist du schon hier?«
»Entschuldige«, wiederholte er und murmelte dann etwas auf Griechisch. Er machte kehrt und ging davon.
Ohne darauf zu achten, dass sie immer noch patschnass war, zog sie sich aufs Geratewohl ihre Sachen über. Wutentbrannt warf sie ihre Malutensilien in ihren Rucksack und verschmierte dabei höchstwahrscheinlich das Bild. Mit großen Schritten überquerte sie die Wiese und lief auf das Kliff zu. Vor lauter Zorn konnte sie nicht mehr klar denken, brachte nur noch isolierte Gedankenfetzen zustande.
Er war ihr nachgestiegen! Und wenn er... Sie hatte ihre Jeans verkehrt herum an. Wie konnte er es wagen, sie so anzustarren! Sie würde...
Als sie sich dem Haus näherte, bemerkte sie, dass sie ihr Hemd schief zugeknöpft hatte. Und das Teichwasser zusammen mit dem Schweiß bewirkte, dass es ihr fast schon obszön am Körper klebte.
Türenknallend stürmte sie ins Haus und schmiss ihren Rucksack auf den Boden. Grandma kam aus der Küche angesaust und schnappte bei ihrem Anblick hörbar nach Luft.
»Lena, mein Lämmchen, was ist dir passiert?«
Grandma machte ein so besorgtes Gesicht, dass Lena am liebsten losgeheult hätte. Ihr Kinn zitterte so wie früher, als sie fünf war.
»Was ist los? Sag’s mir«, bat Grandma und betrachtete mit großen, verwirrten Augen die verkehrt herum angezogene Jeans und das falsch zugeknöpfte Hemd.
Lena sprudelte undeutlich darauflos. Sie versuchte ein paar der Gedanken einzufangen, die ihr wild im Kopf herumschossen. »K-Kostos ist kein netter Junge!«, stieß sie schließlich voll bebender Wut hervor. Dann lief sie auf ihr Zimmer.
Manchmal ist man die Windschutzscheibe
manchmal ist man das Insekt.
Mark Knopfler
Carmen sah zu, wie Krista sich am Küchentisch mit ihren Schularbeiten abmühte. Sie hatte in der Sommerschule Geometrie belegt, damit die Bürde etwas leichter war, wenn sie im nächsten Jahr in die elfte Klasse kam. Carmen hatte den Eindruck, dass Krista keine Kandidatin für Mensa oder sonst eine Vereinigung von Hochbegabten war.
»Bist du so weit?«, rief ihr Vater aus dem Schlafzimmer, wo er seine Tennis-Sachen anzog.
»Ich bin gerade fertig«, rief Carmen zurück. Sie war schon seit zwanzig Minuten aufbruchbereit.
Krista hantierte viel mit dem Radiergummi. Immer wieder pustete sie rote Radiergummikrümel über ihr malträtiertes Papier. Sie benahm sich wie ein Kind aus der dritten Klasse. In Carmen stieg Mitgefühl für sie auf, aber das drängte sie wieder zurück.
Carmen konnte es sich nicht verkneifen, einen Blick auf die Aufgaben auf Kristas Blatt zu werfen. Als das Mathe-Ass, das sie war, hatte sie Geometrie schon in der neunten Klasse belegt, und das war ihr absoluter Lieblingskurs gewesen. Krista kam bei einem Beweis nicht weiter. Carmen wusste schon nach einem flüchtigen Blick quer über den Tisch ganz genau, wie man den Beweis in wenigen Schritten herleiten konnte. Es war richtig komisch, wie groß ihr Verlangen war, die Schlusskette durchzuführen. Es juckte sie förmlich in den Fingern, nach dem Stift zu greifen.
Im Wohnzimmer konnte sie Lydia mit ihrer Hochzeitsstimme am Telefon plappern hören. Carmen nahm an, dass sie mit dem Party-Service sprach, da Lydia immer wieder von »Mini-Soufflees« redete.
Ihr Vater tauchte mit einem T-Shirt vom Williams-College und weißen
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