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Eine geheime Liebe - Roman

Titel: Eine geheime Liebe - Roman
Autoren: PeP eBooks
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hoch über dem Meer thronte, wurden die kleinen, ordentlichen Gräber von schmalen Kiesund Muschelwegen abgetrennt. Auch die Blumen schien man in der Gegend gepflückt zu haben, um diesem Fleckchen Erde Ehre zu erweisen. Es barg vor allem junge Männer, die auf See umgekommen waren. Neben Namen, Geburts- und Todesdaten hatte man die Gräber mit steinernen Schiffen, Segeln und Ankern geschmückt. Manche zeugten von handwerklicher Begabung, alle aber waren sie so beiläufig abgestellt, dass man sich nicht gewundert hätte, wenn sie beim ersten Wispern davongeflogen wären. Sie ließen an die Familien der Matrosen denken. Und an den Salzwassergeruch
der Romane von Joseph Conrad. Ich habe immer schon eine Schwäche für Friedhöfe gehabt. Vor allem Kindergräber zogen mich an.
    Irgendwann hatte ich mal von Carolinas Beerdigung geträumt. Sie hatte wegen Ateminsuffizienz im Koma gelegen. Da war sie ein Jahr und vierzehn Tage alt. Der Albtraum war eine Erleichterung. Man hatte sie nach einigen Wochen vollkommen geheilt wieder entlassen, das hatten die Ärzte zumindest gesagt. Die Endbronchiolen sind wie empfindliche weiße Wurzeln, die in die Erde gesteckt werden. Sie war gesund. In der Nacht wachte ich auf, um mich zu vergewissern, dass sie lebte. Wie eine Schlafwandlerin lief ich den Flur entlang, horchte an ihrer Brust und beruhigte mich erst, als ich den gelassenen Rhythmus ihres Atems hörte. Dieses Drama muss ich gut verarbeitet haben, denn als ich auf diesem idyllischen Friedhof an dem Grab eines Kindes vorbeikam, das mit einem Jahr und vierzehn Tagen gestorben war, löste die Erinnerung keinerlei Schmerz mehr aus. Den Schmerz der Vergangenheit messe ich an der Intensität des gegenwärtigen. Und umgekehrt. Das Leben hat mir einen Schmerzmesser mitgegeben, er sitzt auf der Höhe des Brustbeins. Ich segne das Gefühl der Erleichterung, wenn der Druck nachlässt. Wenn sich wieder Gleichgültigkeit einstellt. Bis zum nächsten Mal - denke ich -, auch wenn mittlerweile nicht mehr viel Platz in meiner Brust ist.
    »Stunden um Stunden haben wir am Meer verbracht. Wir saßen auf einer Klippe oder auf einer kleinen roten Bank, die wir zufällig entdeckt und sofort als Ort für unsere Bekenntnisse
auserwählt hatten. Der Atlantik ist der Ozean, der mir stärker als jedes andere Meer das Gefühl für ein Anderswo gibt. Der dunkle Strand, der in diesen Tagen von den Gezeiten besonders angegriffen wird, ist bevölkert mit Klippen, Felsen und Steinen, unförmigen, nervösen Gestalten mit schroffen Spitzen, die sich unvermutet, wo sie von der ewigen Bewegung der Gezeiten abgeschliffen werden, zu weichen Rundungen abmildern. Ein stolzer Anblick. Arrogant, aber frei. Der Schaum malte zufällige zarte Muster auf die Wellen. Rechts von der Bucht, die offenkundig nicht von menschlichen Wesen bewohnt war, stand ein grauer Leuchtturm. Weiße Vögel saßen darauf und krächzten ohrenbetäubend, unfähig, auch nur die einfachste Melodie zu singen. umfing mich mit den Armen und erzählte mir etwas über sich, kurze, gelassene, heitere Sätze. Ich hielt seine großen Hände in den meinen. An seinem Ringfinger der Streifen heller Haut, den der Ehering hinterlassen hat. Er hätte die Reinheit unserer Blicke gestört. In diesem Moment hätte uns dank der Milde, die man der Liebe entgegenbringt, selbst die gnadenloseste Jury für »nicht schuldig« erklärt. Das Glück vor diesem kratzbürstigen, heranwogenden Meer war vollkommen. Ich genoss die Vertraulichkeit, als würde ich mit einem Duft oder mit der Färbung des Himmels verschmelzen. Mit den Worten des anderen. Mit den heißen Dämpfen eines Bads.
    »Ihrem Vater gefiel es, sich Zeit zu lassen und in aller Seelenruhe zu erzählen. Die ewige Hetze hat ihm nie gefallen, obwohl er gut darin war, von einem Termin zum nächsten
zu eilen. In der Bretagne hatten wir endlich Ruhe gefunden.«
     
    Jeden Sommer wurde ich ins Ferienlager geschickt, von meinem fünften bis zu meinem zwölften Lebensjahr. Immer an die Adria, nach Grado. Meine Mutter hat in meine Unterwäsche und in die Socken »meine« Nummer für die Zeit der Ferien eingestickt. 135. Keine Ahnung, warum es nicht 7 oder 9 war. Das wäre einfacher gewesen, nicht wahr?
    Und wie hat es dir im Ferienlager gefallen?
    Ich habe es gehasst. Sie haben mir ein weißes Matrosenkäppi mit meiner Nummer aufgesetzt. Mein Vater hat mich hingebracht. Mit stolzer Miene. Ich glaube, er hatte nie irgendwelche Schuldgefühle, weil sie einen Minderjährigen
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