Eine geheime Liebe - Roman
hineinversetzt wie in einem Kindertheater. So haben wir Bruchstücke einer kindlichen Vertrautheit zurückerobert. Ich glaube, wir haben uns beide dafür geschämt; die Verlegenheit klang aus unseren Worten heraus. Als Kind habe ich den Kampf ums Überleben nicht gewonnen. In jenen Ferien habe ich es mit ihm gemeinsam versucht. Wir waren von diesen Fantasien unwiderstehlich angezogen. Gemeinsam unsere ersten Lebensjahre zu durchlaufen, hob die Unterschiede zwischen uns auf. Die Therapie funktionierte für uns beide. Wir versetzten uns hinein, wie man uns angezogen hatte, wie die
Schulhefte aussahen, unsere Klassenkameraden, die erste Liebe. Ihr Vater war leicht entflammbar und hat still gelitten, als hätte er sich in eine Geigerin verliebt, die er nicht zu grüßen wagte, wenn sie, die Siegerin eines Musikwettbewerbs in Deutschland, aus dem Theater trat.
»Wozu nützt die Liebe, wenn man nicht darüber spricht?, habe ich ihn damals gefragt und eine heimliche Freude darüber empfunden, dass diese Geschichte eine unvollendete war. Er hat mir alles erzählt, was ihm eingefallen ist, wild durcheinander. Ich habe dasselbe getan. Der Verzicht auf Ordnung hat uns dabei geholfen, uns kennen zu lernen.«
»Mein Vater hat selten von sich erzählt. Ich bin immer davon ausgegangen, dass das mit seiner angeborenen Reserviertheit zu tun hat. Wenn ich jetzt darüber nachdenke, habe ich es mir vielleicht einfach zu bequem gemacht, indem ich ihn nie etwas gefragt habe.«
»Oft erwarten wir von unseren Kindern, unsere kindlichen Bedürfnisse zu befriedigen, glauben Sie nicht, Lucrezia? Mir hat es immer gefallen, Carolina in dumme Smokkleidchen zu stecken, am liebsten blau oder dunkelrot. Dazu farbige Söckchen und Riemchenballerinas. Sie dagegen bestand darauf, schreckliche bunte, schlabbrige Trainingsanzüge anzuziehen. Um sich zu rechtfertigen, hat sie jedem erzählt, dass die Jungen ihr den Rock hochziehen.
»Ich habe immer versucht, meine Kinder nicht für das büßen zu lassen, was mich als Kind geärgert hat. Die Haare zum Beispiel waren ein einziger Kampf! Ich wollte sie lang tragen und habe meine Mutter jedes Mal gehasst, wenn sie
mich gezwungen hat, sie schneiden zu lassen. Das ist doch viel praktischer, hat sie immer gesagt. Und kurze Haare sind auch viel gesünder. Können Sie mir sagen, Lucrezia, was ein Kind mit der Gesundheit am Hut hat? Ich wollte lange Haare, und damit basta. Carolina hatte lange Haare - bis zum Läusedrama, das unsere Familie über Wochen hinweg in Atem gehalten hat. Die Schule war mit diesen kleinen Tierchen verseucht, die sich unbemerkt in den Haaren einnisten. Für die Jungen war das ein Kinderspiel, einmal drübergeschoren, und fort waren sie. Für Carolina nahm die Sache das Ausmaß einer Tragödie an. Ich brachte sie zu einem äußerst geduldigen Friseur, der ihr die raffiniertesten und modischsten Schnitte vorschlug, aber es war zwecklos. Sie ließ ihn nicht einmal in ihre Nähe. Schließlich wurde die Diskussion von der Großmutter beendet. Carolina blieb bis zu meiner Rückkehr von einer Aufführung wach, um mir stolz ihren neuen Pagenschnitt zu präsentieren.
»Ich habe nie begriffen, Lucrezia, ob meine Kinder irgendetwas anderes brauchen als das, was ich ihnen gegeben habe. Wünsche und wirkliche Bedürfnisse habe ich nie wirklich auseinanderhalten können, verstehen Sie, was ich meine?«
»Wir Mädchen verbringen mehr Zeit mit der Mama. Ich hatte instinktiv eine Vorliebe für meinen Vater. Meine Mutter war immer auch eine Konkurrentin, oder vielleicht hat vor allem sie es so empfunden. Sie war Bildhauerin. Als meine Schwester geboren wurde, hat sie ihre Arbeit eine Zeit lang aufgegeben. Fünf Jahre später bin ich dann gekommen,
und sie hat sich nur noch darauf konzentriert, eine gute Mutter zu sein. Nicht arbeiten zu können, hat sie belastet. Es hat sie von meinem Vater abhängig gemacht und in gewisser Weise auch von uns Kindern. Ich glaube, sie hat es mir nie verziehen, dass ich mit zwanzig meinen ersten Wettbewerb gewonnen habe und nach Deutschland gegangen bin. Genau wie er, der die Familie vorübergehend verlassen hat, um sich am Konservatorium den letzten Schliff geben zu lassen.«
»Ich war eine chaotische Mutter. Sie haben mir nie widersprochen, mich aber auch nie bestärkt. Heute glaube ich, dass sie mir verziehen haben. Carolina macht mit den Zwillingen dieselben Fehler. Wir haben gelernt, darüber zu lachen, um dem Ganzen die Spitze zu nehmen. Wenn ich mit Ihrem Vater
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