Eine geheime Liebe - Roman
zusammen war, habe ich mich manchmal zu meinem größten Schrecken wie seine Mutter gefühlt.
»Damals zum Beispiel, als er nachts plötzlich aufgewacht ist und mit rauer Stimme gefragt hat: Hilfst du mir? Instinktiv habe ich ja gesagt, auch wenn ich nicht verstand, was er von mir wollte. Er ist dann mit den Worten: Ich möchte so klein sein wie eine Bohne und für immer in dir sein wieder eingeschlafen.
»Dass ich meine Beobachtungen für ihn aufgeschrieben habe, obwohl er sich dort vor meinen Augen befand, war egozentrisch. Überall habe ich meine Spuren hinterlassen. In der Bretagne waren wir glücklich. Die vielen Stunden, in denen wir zusammen waren, haben jede Unruhe getilgt und uns das Gefühl genommen, unsere Beziehung stehe jederzeit
zur Disposition. Nach den ersten zwei Tagen wurde unser Atem regelmäßig. Auch wenn wir es nie zugegeben hätten, haben wir ausprobiert, wie es wäre, ein gewöhnliches Paar zu sein. Die viele verfügbare Zeit hat uns gelehrt, dem anderen gegenüber großzügiger zu sein. Ich habe in ihm eine unvermutete Zärtlichkeit entdeckt. Er war ein guter Mann. Bevor wir das Paradies dann verlassen mussten, habe ich ihm einen Brief geschrieben. Ohne jede falsche Rücksichtnahme.«
Bretagne.
Draußen ist Tag, ein glücklicher Tag.
Mein Geliebter,
ich möchte dieses Glück für immer festhalten. Wenn ich Dir das sagen würde, würdest Du mich besorgt anschauen, das weiß ich, daher schreibe ich Dir lieber. Wir sitzen im Café des Beaux Jours (das Café der schönen Tage - was für ein passender Name). Du liest Zeitung. Du tust es mit der asketischen Ernsthaftigkeit, die mich immer zum Lachen bringt. Wir haben nur ein einziges Exemplar gefunden, aber Du bist auch zufrieden, wenn die Nachrichten zwei Tage alt sind. Ich nutze die Pause, um Dich anzuschauen. Das weiße Hemd schaut aus der roten Jacke hervor, dazu trägst du die blaue Samtjeans. Meiner Psychoanalytikerin würden wenige Worte genügen, um mir klarzumachen, dass eine derart absolute Liebe eine kranke Liebe ist und meine persönliche Entwicklung behindert. Um die wir uns
nun schon jahrelang bemühen. Die Freude, mich gehen zu lassen, ohne Dein Urteil fürchten zu müssen, die Sanftheit, die in mir aufsteigt, wenn ich auch nur daran denke, dass es Dich gibt, lassen mich Frieden herbeisehnen. Einen gemeinsamen Frieden. Sogar unseren Diskussionen hier fehlt die Schwere. Das war das Paradies, da bin ich mir sicher. Meine kindlichen Fragen haben Antworten gefunden, und die Leidenschaft ist zur Ruhe gekommen, als wäre sie an einer Klippe zerschellt. Ich möchte, dass Du dieses Glück mit mir zusammen umfängst.
C.
Während ich diese Bekenntnisse sorgfältig zusammenfaltete, suchte ich in Lucrezias Gesicht ein Zeichen der Zustimmung. Sie wirkte anders als am Tage zuvor. Ihr Gesicht sah müde aus, als hätte mein Bericht ihr die Energie vom Vorabend geraubt. Ich war ihr so dankbar für diesen Besuch, dass ich sogar meine Faulheit als Köchin überwand, um sie mit irgendetwas glücklich zu machen. Mir schwebte ein Soufflé mit provenzalischen Kräutern vor, das im Rezeptbuch mit zwei Sternchen für den Schwierigkeitsgrad versehen war.
»Diese süßen Brötchen sind wunderbar, wenn man sie in den Kaffee tunkt. Jetzt begleite ich Sie aber in die Küche. Die ist so gemütlich weiß.«
Sie machte sich schamlos über mich lustig. Mein Haus war mein Schwachpunkt, der Spiegel meiner Eitelkeit. Dieses schöne Refugium hätte auch ihm gefallen, denkst
Du nicht? Ihm hätte es gefallen, sein Alter in dieser sonnendurchfluteten Natur und den großen Räumen meines Bauernhauses zu verbringen, zwischen Musik und Büchern. Es hätte uns nichts Besseres passieren können, als dass wir uns jetzt begegnet wären. Ich hätte selbst seine unvermeidlichen Gebrechen geliebt. Es heißt, dass man sich den Sex des dritten Lebensalters nicht entgehen lassen sollte. Wir hätten die verlorene Zeit aufgeholt. Stattdessen ist er gestorben. Ohne Vorwarnung.
Ich habe das Essen zubereitet und mit ein paar gastronomischen Extravaganzen aufgewartet - Ausdruck meines Wunsches, noch zusammenzubleiben, der sicher auf Gegenseitigkeit beruhte. Wir konnten dieses Gespräch jetzt nicht beenden, Gabriella. Ich hatte noch so viel zu sagen.
»Der Urlaub in der Bretagne war der Anfang vom Ende, Lucrezia.«
Das Geräusch von Thierrys Wagen lockt mich von Dir fort. Stundenlang habe ich am Schreibtisch gesessen, ohne zu merken, dass sich der Himmel verfinstert hat. Nicht ein
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