Eine geheime Liebe - Roman
hat, als uns Illusionen zu machen. Ich weiß noch, wie er uns in Sevilla heimlich vom Himmel herab beobachtet hat, der einzige Zeuge dieser Liebe. Aus Scham habe ich die Vorhänge geschlossen. Die Nachbarn haben Boris, den Hund, hinausgelassen; jetzt jault er wegen der Kälte. Auch er wird sich über die Ankunft der Kinder freuen. Sie sind die Einzigen, die sich nicht vor seiner nur dem Selbstschutz dienenden Angriffslust fürchten.
Der Besuch der jungen Frau hat mich aus meiner glücklichen, selbstgewählten Isolation herausgeholt. So war es immer. Ich habe Mauern um mich herum errichtet und meinem Leben seine Unschuld wiedergegeben, bis der nächste Mann die unüberwindliche Festung zum Einsturz brachte. Aufbauen und Niederreißen - bestand darin mein Leben, Gabriella? Ich glaube nicht, dass ich schon den richtigen Weg gefunden habe, sondern lasse mich von meinem Instinkt in immer neue Gefahren locken. Keine habe ich ausgelassen, das muss ich schon sagen. Meine Freundschaft zu Dir ist das Gewissen, in dem ich mich auf meiner Suche
nach Geborgenheit spiegele. Der Besuch dieser Frau war die unverhoffte Gelegenheit, Bilanz zu ziehen. Spät und immer noch gefährlich.
Als Kontrapunkt zu der romantischen Schilderung jenes Zwischenspiels, das nur eine Woche währte, habe ich meinem Gast die Briefe aus den Zeiten der Entfernung gezeigt. Nach einer Telefonpause trafen wir uns auf der Veranda wieder.
»Unsere Trennungen waren Etappen auf einem Weg, der nie endete, meine Liebe. Bruchstücke von Abwesenheit, die mich von Mal zu Mal verletzlicher zurückließen. Unsere Liebe ist daran gewachsen.«
Sie sah mich nachsichtig an. Mittlerweile war ich in ihr Innerstes vorgedrungen und fühlte mich sicher.
»Warum sagen Sie das, Signora? Sie sind einander ferngeblieben, weil Sie ganz sicher wussten, dass Sie sich wiederfinden würden.«
Ich hatte den Tod ausgehalten, ohne mit der Wimper zu zucken, angefangen bei dem meines Vaters. Sogar der Selbstmord meines Bruders, der sich mit zwanzig beim Militär eine Kugel in den Rachen gejagt hatte, in seinem elenden Schilderhäuschen von literweise Schnaps betäubt, war folgenlos an mir vorübergegangen. Jetzt konnte ich nur hoffen, nicht ausgerechnet wegen des Todes dieses Mannes zusammenzubrechen, und behielt meine Fragen für mich: warum und wie er gestorben war, ob er gelitten hatte, in was für Kleidern man ihn beerdigt hatte, was für ein Ende ihre Mutter genommen hatte. Waren die Kollegen vom Orchester
benachrichtigt worden, und hatten sie an der Beerdigung teilgenommen? Hatte in der Kirche jemand musiziert? Lucrezia selbst hätte die Zeremonie musikalisch begleiten können, zusammen mit alten Kollegen von ihm.
»Ich habe Ihrem Vater vorgeworfen, dass er nicht zu einer Kapitulation vor seinen Gefühlen bereit ist, Lucrezia. Erst später ist mir klar geworden, dass in Wirklichkeit ich es war, die nicht unterliegen wollte. Ich habe Versuche unternommen, von ihm fortzugehen, aber häufig habe ich sie schnell wieder abgebrochen. Bis zu dem Tag, an dem es mir gelungen ist. Aus einem Grund, der mir hinreichend nobel erschien, um auch von einem liebenden Herzen akzeptiert zu werden.«
Auch diese Briefe hatte er aufgehoben, Gabriella. Titel des Bündels: »Trennungen.«
Heute Morgen bin ich durchs Zentrum spaziert und zum Theater gegangen. Es war früh, die kleinen Straßen waren verlassen. Keine eleganten Damen, nur Kinder, die in Scharen auf das Schultor zurannten, ein bunter, schlaftrunkener Haufen. Ich frage mich, wie ich den Frühlingsbeginn ertragen soll, und komme nicht mit mir ins Reine. Jetzt gehe ich. Für diesen Brief finde ich keine Anrede. Einen Freund kann ich Dich nicht nennen, Du entziehst Dich jeder Festlegung. Ich lehne mich gegen Dich auf, indem ich Umschreibungen und Begriffe von grausamer Klarheit benutze. Dies sind die Momente, in denen sich die Unterschiede
zwischen uns mit unübersehbarer Macht zeigen. Ich hasse Dein Schweigen. Du hasst meine Forderungen. Du möchtest, dass alles unter der Oberfläche bleibt, begraben unter nebulösem Gerede, und wenn ich Dich mit Deinen Widersprüchen konfrontiere, zitterst Du und setzt eine finstere Miene auf. Dein Gesicht verändert sich. Nur der blasse, blutleere Teint bleibt derselbe. Du faselst von platonischer Liebe, siehst darin eine mögliche Wandlung der Leidenschaft, deren Anerkennung Du verweigerst. Und ich sehe keinen anderen Weg, als mich - traumtänzerisch und einsam - aus der dunklen Toreinfahrt zu entfernen,
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