Eine Geschichte von Liebe und Feuer
Hand aus, um wie üblich den Umschlag mit der vertrauten Schrift entgegenzunehmen.
Dieses Mal jedoch war die Adresse mit Schreibmaschine geschrieben, und der Name auf dem Umschlag war der ihre.
Es handelte sich um ein formelles Schreiben, das die Regierung zu Tausenden verschickte und abgesehen von den handschriftlich eingesetzten Namen jeweils völlig identisch war. Darin teilte man ihr mit, dass Eugenias Ehemann Mikaelis Karyanidis seit fünf Jahren vermisst, und obwohl es keinen endgültigen Beweis dafür gebe, für tot erklärt worden sei.
Monatelang hatte Eugenia nicht mehr an ihn gedacht, daher fiel es ihr jetzt schwer zu trauern. Das hatte sie bereits vor langer Zeit getan.
Als die drei Mädchen an diesem Nachmittag von der Schule heimkamen, machten sich die Zwillinge ans Kuchenbacken. Sie rührten einen Teig aus gemahlenen Mandeln, Honig und Zucker, und der Kuchen würde groà genug werden, um die ganze Nachbarschaft zum Namenstag ihrer Mutter einzuladen.
Roza überlegte sich, wie sie den Mädchen die Nachricht beibringen sollte, doch als sie sah, wie sich die beiden lachend und schwatzend über die Rührschüssel beugten, war ihr klar, dass jetzt nicht der geeignete Zeitpunkt dafür wäre.
Später am Abend, als die Morenos gegangen waren und die groÃe Kuchenplatte bis auf den letzten Krümel leer gegessen war, überbrachte sie den Mädchen die traurige Nachricht. Sie nahmen sie gleichmütig hin. Keine von ihnen erinnerte sich noch an ihren Vater.
»Ich wusste, dass er tot ist«, sagte Sofia.
»Warum?«, fragte Maria.
»Ich wusste es einfach. Schon seit einer Ewigkeit.«
»Du weiÃt immer alles«, erwiderte Maria und ärgerte sich über die prophetischen Fähigkeiten ihrer Schwester.
»Sobald man das Gesicht von jemandem vergessen hat, ist er doch tot? Oder könnte zumindest tot sein.«
»Ja, aber dennoch weiÃt du es nicht. Das ist nicht möglich. Abgesehen davon weià es keiner genau. Das steht in dem Brief.«
Katerina dachte an ihre Mutter. Sie konnte sich inzwischen kaum mehr an ihr Gesicht erinnern und fragte sich, ob das bedeutete, dass auch sie tot war.
Die Zwillinge stritten sich noch eine Weile darüber, ob ihr Vater tot war oder nicht. SchlieÃlich hatte Eugenia genug.
»Mädchen, jetzt hört aber auf. Sofort! Es ist Zeit fürs Bett.«
Die beiden liefen die Treppe hinauf und überlieÃen es Katerina, Eugenia Gute Nacht zu sagen.
Katerina umarmte sie und sah, dass Eugenia das bestickte Taschentuch auf dem Schoà liegen hatte.
»Ich danke dir dafür, Katerina«, sagte sie und strich es glatt, um die Rose und den Schmetterling zu bewundern. »Du musst dich sehr angestrengt haben, und es ist wunderschön.«
Katerina sah Tränen in Eugenias Augen und nahm an, dass sie um ihren verstorbenen Mann weinte. Sie war unsicher, was sie tun sollte.
»Ich hab eine Weile dafür gebraucht«, sagte sie lächelnd. »Gefällt dir der Saum? Dafür hab ich selbst einen Stich erfunden. Und hast du den Schmetterling gesehen?«
Doch was Eugenia die Kehle zuschnürte, war nicht die Nachricht über ihren Ehemann. Mit seinem Tod hatte sie sich schon lange abgefunden. Was sie bewegte, war die vollkommene Makellosigkeit dieser Stickerei und die kindliche Naivität ihrer Ausführung. Sie drückte nicht nur das Bedürfnis aus, etwas Schönes zu schaffen, sondern zugleich auch eine groÃe Hoffnung. In den Jahren seit ihrer Flucht aus Kleinasien hatte es viele dunkle Stunden gegeben, aber solche Momente, solche Gesten waren ein Lichtstrahl. Was diese kleinen Hände zuwege brachten, hatte sie so tief bewegt, dass ihr die Worte fehlten.
»Ja«, antwortete sie leise. »Der Schmetterling ist wundervoll.«
1 4
K aterina war jetzt dreizehn Jahre alt. Mit Unterstützung von Roza Moreno, die ihr Talent tatkräftig förderte, hatten sich ihre auÃergewöhnlichen Fähigkeiten weiter verfei nert, und aus ihrer Begeisterung für Stickarbeiten war reinste Leidenschaft geworden.
Inzwischen bestickte sie Schonbezüge, Tischtücher und Kissenbezüge mit handgefertigten Spitzeneinsätzen, und für das Umhäkeln der Ränder benutzte sie die dünnsten Häkelnadeln. Einmal in der Woche packte Eugenia alles in eine Tasche, ging in die wohlhabenderen Viertel der Stadt und verkaufte die Handarbeiten von Tür zu Tür. Es waren
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