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Eine Handvoll Leben: Meine Kindheit im Gulag (German Edition)

Eine Handvoll Leben: Meine Kindheit im Gulag (German Edition)

Titel: Eine Handvoll Leben: Meine Kindheit im Gulag (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Dahlhoff
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und her, Lachen erfüllte den Platz, bis ein paar Soldaten etwas auf Russisch riefen und wir alle augenblicklich verstummten. Wir bekamen Schaufeln. Wir wurden zu unseren Baracken geschickt, und jetzt verstanden wir auch, warum wir herausgeholt worden waren. Wir sollten das Stroh aus den Hütten fegen. Und wer keine Schaufel abbekommen hatte, sollte die Hände nehmen, alle mussten ran. Ein paar Mädchen standen die Tränen in den Augen. »Ist doch nicht so schlimm«, sagte ich. »Mit dem Schnee bekommen wir die Finger wieder sauber.« Unsere Freude aber war verflogen, unser Lachen vergessen.
    Das Ausfegen war eine anstrengende Arbeit für Kinder, die mehr Wasser als Suppe bekamen und Bewegung nicht mehr gewohnt waren. Aber die Sache hatte auch ein Gutes, denn ab diesem Tag wurden die Baracken nicht mehr verschlossen, und wir durften uns frei auf dem Gelände bewegen, nur aus dem Tor durften wir nicht hinaus. Wie auch, es standen Tag und Nacht Wachen davor. Einige Kinder tauschten jetzt heimlich ihre Schlafplätze, um bei ihren Geschwistern zu sein, und so gab es Hütten mit Jungen und Mädchen. Die Soldaten schien es nicht zu stören.
    Draußen herumlaufen zu können bedeutete ein kleines Stückchen Freiheit. Ich sah jeden Tag nach, wie viel Schnee geschmolzen war, und freute mich über die wärmenden Sonnenstrahlen. Immer häufiger schlich ich zu dem Stacheldrahtzaun, der das Gelände umgab. An einer Stelle, die etwas abseits lag, machten die Soldaten mit ihren Gewehren auf den Rücken nur selten Patrouille. Dort lehnte ich mich an die Holzlatten und ließ mich von der Frühlingssonne bescheinen. Ich lugte auch oft durch den Zaun, um zu sehen, was dahinter lag, und mit dem letzten Schnee verschwand auch die unendliche Weite der Winterlandschaft. Ich blickte über eine große Wiese mit Büschen und Sträuchern und in der Ferne auf einen dunklen Streifen Bäume. Wie eine zweite Umzäunung kam mir der Wald vor.
    Mit einer Gruppe Jungen und Mädchen zusammen war ich an einem Nachmittag über das Gelände gelaufen; noch nie hatten wir uns so nah an die Baracken der Soldaten herangewagt. Und dort entdeckten wir einen Brunnen. Ein Eimer hing an der Seite, und wir ließen ihn, nachdem wir uns mehrere Male vergewissert hatten, dass uns niemand beobachtete, in das dunkle Loch hinab und zogen ihn schließlich randvoll mit frischem Wasser gefüllt wieder hinauf. Wir jubelten und hüpften vor Freude, jeder von uns nahm eine Handvoll von dem klaren, kühlen Wasser. Am nächsten Tag schlichen wir mit unseren leeren Eimern aus den Hütten wieder dorthin und füllten sie einen nach dem anderen. Als plötzlich zwei Soldaten vorbeikamen, erschraken wir und rechneten schon mit dem Schlimmsten. Der Seitenblick des einen Russen streifte uns kurz, dann gingen sie in ein Gespräch vertieft vorbei.
    Für Wasser war fortan gesorgt. Es reichte sogar fürs regelmäßige Waschen. Ich war sehr froh darüber, denn ich ekelte mich vor dem Dreck, in dem ich leben musste, daran konnte ich mich nicht gewöhnen. Obwohl wir jetzt auch einen Misthaufen in der Nähe als Toilette benutzten, war die Hütte alles andere als sauber. Immerhin wusch ich nun, wie einige andere auch, meine Kleidung und legte sie zum Trocknen in die Sonne. Zum Wechseln hatte ich noch Johannes Sachen, die ich aber immer nur so lange trug, bis ich meine wieder anziehen konnte. Bald jedoch würden sie mir zu klein sein, die Hose hatte bereits Hochwasser, und die Kleiderärmel reichten längst nicht mehr bis zum Handgelenk.
    Durst leiden mussten wir den Sommer über nicht, aber die Nahrungsrationen blieben knapp; es kam nicht selten vor, dass wir an einigen aufeinanderfolgenden Tagen gar kein Essen bekamen. Gekrümmt vor Hunger lag ich dann auf meinem Stroh. Ein grausamer, nicht zu stillender Schmerz. Oft meinte ich, ihn nicht zu überleben. Nicht mal Papa im Himmel konnte mich in diesen Nächten trösten, kein Stern war dann am Himmel. Unglücklicherweise konnte ich oft an nichts anderes denken als an Milch und Brot, und manchmal sah ich sogar Omas Apfelkuchen vor mir … Den ich nie wieder zu essen bekommen würde, denn Oma war tot. Mein Magen brannte vor Leere, und ich weinte um Oma und Opa und Elsa, und es brach alles über mich herein, der ganze Kummer, alles, was ich erlebt hatte, all die Trauer, die Sehnsucht und das Bangen, Mama nie wiederzusehen.
    Wenn es nach Tagen ohne die kleinste Mahlzeit dann mal wieder ans Verteilen einer Suppe oder eines Brotes ging, da gab es keine

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