Eine Insel
aufgezwungen hatte, nie auf eine solche Situation eingegangen. Natürlich sagten dumme Menschen gern zu kleinen Babys: »Du bist so süß, ich könnte dich vernaschen!« Aber solcher Unsinn war längst nicht mehr so witzig, wenn er von einem Mann mit Kriegsbemalung kam, der diverse Totenschädel am Gürtel trug. Daphne, die unter dem Fluch guter Manieren stand, erwiderte schließlich: »Es ist sehr freundlich von dir, das zu sagen.«
Der Mann nickte und kehrte zu seinen Leuten zurück, die sich um Cox geschart hatten.
Mau trat wieder zu ihr. »Ihr Priester scheint dich zu mögen.«
»Nur mein Gehirn, Mau, und selbst wenn er es zu Mittag verspeisen würde, hätte ich immer noch mehr als du! Hast du nicht die Pistole gesehen, die er jetzt hat? Es ist eine Pepperbox. Ein Freund meines Vaters hatte so eine! Sie fasst sechs Patronen.
Also hat er sechs Schüsse, ohne nachladen zu müssen! Und außerdem hat er noch eine normale Pistole!«
»Ich werde schnell sein.«
»Du kannst nicht schneller rennen als seine Kugeln!«
»Ich werde ihnen aus dem Weg gehen«, sagte Mau mit einer Ruhe, die sie wahnsinnig machte.
»Verstehst du denn nicht? Er hat zwei Pistolen, und du hast einen Speer! Dir wird der Speer ausgehen, bevor ihm die Pistolen ausgehen!«
»Ja, aber seiner Pistole werden die Kugeln ausgehen, bevor meinem Messer die Schärfe ausgeht«, sagte Mau.
»Mau, ich will nicht, dass du stirbst!«, rief Daphne. Die Worte hallten von der Klippe zurück, und sie wurde puterrot.
»Wer soll dann sterben? Milo? Pilu? Oder wer? Nein. Wenn irgendjemand stirbt, sollte ich es sein. Ich bin schon einmal gestorben. Ich weiß, wie es geht. Ende der Diskussion!«
14
Duell
Hinter ihnen hatte sich das Stimmengewirr beruhigt.
Stille legte sich über die Kriegskanus, von denen Reihen neugieriger Gesichter herüberstarrten, über die Gruppe der Räuberhäuptlinge am Ufer, über die Menschen, die aus ihren Verstecken gekrochen waren, um von der Klippe aus zuzusehen.
Die Sonne war zu hell, als dass man sie hätte ansehen können, und kochte bereits alle Farben aus der Landschaft. Die Welt hielt den Atem an.
Ein Startzeichen würde es nicht geben. Es gab auch keine Regeln. Aber es gab Traditionen. Der Kampf begann, wenn der erste Mann seine Waffe aufhob. Maus Speer und Messer lagen vor ihm im Sand. Zehn Fuß entfernt hatte Cox seine Waffen niedergelegt, allerdings erst nach einigem Hin und Her.
Nun ging es nur noch darum, die Augen des Gegners genau zu beobachten.
Cox grinste Mau an.
Hatte nicht jeder Junge davon geträumt? Sich dem Feind im Kampf Mann gegen Mann zu stellen? Und jetzt war alles unter der glühendheißen Sonne versammelt, all die Lügen, all die Ängste, all die Schrecken, all die entsetzlichen Dinge, die jene Welle gebracht hatte. All das war in sterblicher Form anwesend.
Hier und jetzt konnte er all das besiegen.
Und das Einzige, was jetzt eine Rolle spielte, war: Wenn du nicht einmal zu denken wagst, dass du es schaffen könntest, wirst du es auch nicht schaffen.
Von diesem Anstarren brannten Mau die Augen. Das grelle Sonnenlicht machte ihn fast blind, aber wenigstens waren keine Stimmen mehr in seinem Kopf.
Außer…
Es ist ein guter Tag zum Sterben, sagte die Stimme von Locaha.
Maus Arm schoss blitzschnell vor und warf Cox eine Handvoll Sand in die Augen. Ohne zu zögern, packte er einfach sein Messer und stürmte los, während hinter ihm Verwünschungen ausgestoßen wurden. Aber wenn es keine Regeln gab, konnte man auch nicht betrügen. Als er den Speer niederlegte, hatte er unbemerkt seine Waffe bereits aufgenommen. Er musste ja nicht sagen, dass er den Sand gewählt hatte. Und der war wirklich eine gute Waffe.
Halt nicht an. Blick nicht zurück, lauf einfach weiter.
Es gab keinen Plan. Es hatte nie einen Plan gegeben. Es gab nur die Hoffnung, und davon war schon wenig vorhanden, doch es gab etwas, das ihn das Geistermädchen am Tag ihrer ersten Begegnung gelehrt hatte: Feuerwaffen mochten kein Wasser.
Die Lagune war in diesem Moment sein Plan, und dorthin flüchtete er sich. Mau rannte so schnell er konnte und schlug dabei möglichst viele Haken. Das Wasser war seine Welt. Cox war ein großer, schwerer Mann, und das Wasser würde sich an seine Kleidung hängen. Ja!
Dann hörte er einen Schuss, und eine Kugel sirrte an seinem Kopf vorbei. Aber da war die Lagune, und er sprang hinein, als ihm das Wasser gerade bis zu den Knien reichte. Er würde auftauchen müssen, um Luft zu holen, aber der Mann
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