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Eine Katze hinter den Kulissen

Titel: Eine Katze hinter den Kulissen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lydia Adamson
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Er war fast
zwanzig Jahre alt. Das Foto war auf einer Party gemacht worden. Es
waren drei Leute drauf: Tony, ich und Saul Colin, der Regisseur des
Dramatic Workshop, den Tony und ich besucht hatten. Colin stand
zwischen uns und hatte die Arme um uns gelegt.
    Auf dem Foto trug ich ein knöchellanges
schwarzes Samtkleid, das sehr tief ausgeschnitten war und
Puffärmel hatte. Um den Hals trug ich ein Straßkette. Meine
Haare waren lang, golden und sehr glänzend. Ich schaute direkt in
die Kamera und spielte die Rolle, die ich damals immer gespielt hatte:
geheimnisvoll, tiefgründig, sehnsüchtig, zu allem bereit,
distanziert. Damals waren viele Männer in mich verliebt gewesen.
Ich versuchte, mich zu erinnern, in wen ich verliebt gewesen war. Mir
fiel niemand ein.
    Dieses armselige Foto deprimierte mich zutiefst. Ich
hatte keine Ahnung, warum. Ich ging zu dem Schrank im Flur und vergrub
es tief in einer der Plastiktüten, in denen ich die
Erinnerungsstücke an die Familie aufbewahre, die meine
Großmutter mir hinterlassen hat.
    Tony kam mit dem geliehenen Videorecorder und der
Kassette zurück, als es gerade dunkel wurde. Wir schauten die
Aufnahme in der Küche an.
    Die ganze Tanzsequenz dauerte nur acht Minuten. Weil
ich mir vorgenommen hatte, mir nichts entgehen zu lassen, fielen mir
jetzt viele Dinge auf, die ich beim ersten Mal nicht wahrgenommen
hatte. Warum, zum Beispiel, tanzten sie eigentlich ohne Musik? Das
schien Absicht zu sein, als ob sie die Tanzschritte von der Musik
trennen wollten.
    Die Aufnahme war immer noch sehr erotisch, und ich
fühlte, wie ein merkwürdiger Schauder durch meinen
Körper rann, prickelnd, voller Versuchung und Erwartung. Na ja,
die beiden nackten Menschen dort waren schließlich einmal zwei
der besten Tänzer der Welt gewesen, und obwohl das Alter Melissas
tänzerische Fähigkeiten beeinträchtigt hatte und sein
ausschweifendes Leben Dobrynins Stil auch nicht gerade zuträglich
gewesen war, war ihr Tanz doch immer noch bemerkenswert. Und sie boten
einen der schönsten Pas de deux überhaupt dar, Rollen, die
sie berühmt gemacht hatten.
    Ja, und je länger man ihnen zuschaute, desto
mehr bekam man den Eindruck, daß sie sich neckten und sich selbst
parodierten. Manchmal wurden sie langsamer, dann wieder schneller,
manchmal berührten sie sich flüchtig, wie in einer
obszönen Burleske.
    Wir schauten uns die Kassette dreimal an. Tony sprach
die ganze Zeit kein Wort. Er war offensichtlich stark fasziniert. Dies
hier war Perversion von hoher künstlerischer Qualität, wenn
es so etwas überhaupt gibt.
    »Und?« fragte Tony nach der dritten Wiederholung.
    »Je öfter ich mir das anschaue, desto mehr
fällt mir auf«, sagte ich. »Aber das heißt
nichts. Ich kann nicht analysieren, was ich sehe. Ich kann keinen Bezug
zur Realität finden.«
    »Weißt du«, sagte Tony in Gedanken,
»ich habe ihn niemals tanzen gesehen, nur auf dieser
Kassette.«
    »Wie findest du ihn?«
    »Er tanzt nicht so, wie ich erwartet hatte. Ich
hatte ihn mir energiegeladener vorgestellt. Aber vielleicht hat diese
Verletzung ihn behindert.«
    Ich schaute ihn irritiert an. »Was meinst du mit ›Verletzung‹? Mir scheint er gut in Form.«
    »Ich meine den Finger, den ausgerenkten Finger.«
    »Wovon redest du eigentlich?« fragte ich in drängendem Ton.
    Tony zuckte die Schultern, spulte das Band
zurück und drückte die Play-Taste. »Da! Schau auf die
letzten beiden Finger seiner rechten Hand.«
    Ich folgte Tonys Zeigefinger. Alles, was ich erkennen
konnte, war ein unauffälliger Verband um den kleinen Finger und
den Ringfinger.
    »Wenn zwei Finger so zusammengebunden
werden«, erklärte Tony, »dann bedeutet das, daß
einer davon ausgerenkt ist und auf diese Weise in seiner richtigen
Position gehalten werden soll. Die beiden Finger werden
zusammengebunden, damit der ausgerenkte gestützt wird. Wenn der
Finger gebrochen wäre, dann wäre er geschient.«
    »Das ist keine typische Verletzung für Tänzer, oder?« fragte ich ihn.
    »Das bezweifle ich. Bei Basketball- oder
Baseballspielern kommt das häufig vor. Und bei Säufern, die
sich in der Kneipe mit den falschen Typen anlegen.
    »Es könnte doch sein«, dachte ich
laut, »daß der Mann, der Dobrynin ermordet hat, irgend so
ein Raufbold aus einer Kneipe war.«
    »Es hat schon seltsamere Zufälle gegeben.«
    Ich mußte darüber nachdenken. Ich ging ins
Wohnzimmer und rief Melissa Taniment an, die jetzt sehr entgegenkommend
war, nachdem sie Zeit gehabt hatte, sich

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