Eine kostbare Affäre: Roman (German Edition)
einnahmen.
Flora antwortete nicht. Aus den Augenwinkeln konnte sie Edie und ihre Mutter sehen. Die beiden lächelten ihr ermutigend zu, aber Flora wäre dennoch weit glücklicher gewesen, wenn sie niemanden im Publikum gekannt hätte. Sie hätte ihre Demütigung gern in einem halbwegs geschützten Raum erlitten. Und natürlich war auch Henry anwesend. Er saß in einer der hinteren Reihen. Ihn zu vergessen, fiel ihr nicht schwer.
James trat ein, wandte sich an das Publikum und hielt eine kurze, geistreiche Einführungsrede. Das Publikum lachte. Der Chor lachte. Dann drehte James sich zu den Sängern um, sah einen jeden von ihnen kurz an, dann zeigte er ihnen für einen Moment ein Tuch mit einem grinsenden Gesicht darauf. Flora gab sich größte Mühe, ihm den Gefallen zu tun und ihrerseits zu lächeln, glaubte aber nicht, dass ihrem Bemühen großer Erfolg beschieden war.
Der Pianist spielte die Eröffnungstakte von Der Einzug der Königin von Saba, und der Chor holte wie aus einem Mund Luft und öffnete die Kehlen. »Frohlocket! Frohlocket!« Die Orangerie hatte eine hervorragende Akustik. Flora vergaß ihre Nervosität und begann, voller Freude zu singen.
»Es läuft verdammt gut«, bemerkte jemand während der Pause.
Die Chormitglieder war wieder in ihren Ruheraum zurückgekehrt, wo frische Sandwiches und Getränke für sie bereitstanden. Flora nippte an einem Glas Holunderblütensaft, denn Wein würde sie sich erst gestatten, wenn alles vorüber war.
»Und wir haben ein wirklich großes Publikum«, erklärte Geoffrey. »Irgendjemand hat da bei den Kartenverkäufen wahre Wunder gewirkt.«
»Das liegt bestimmt am Ort«, meinte Moira. »Die Leute sind neugierig. Sie hören sich wahrscheinlich alles an, nur um die Chance zu bekommen, einmal einen Blick auf ein Haus wie dieses werfen zu dürfen.«
»Außerdem ranken sich um das Haus eine hübsche Menge an Skandalen, nicht wahr? Weiß irgendjemand hier Einzelheiten?«
»Flora geht mit Henry aus«, sagte Geoffrey, um Flora weitere Peinlichkeiten zu ersparen. »Nur deshalb haben wir die Erlaubnis bekommen, hier zu singen.«
»Es ist ein reiner Zufall. Wir sind nur ein paar Mal miteinander aus gewesen.« Flora spürte, dass alle anderen jetzt zu ihr hinübersahen, und konnte es nicht verhindern, zu erröten. »Ich kenne keine Skandale, fürchte ich, außer dem, dass seine Frau ihn verlassen und den größten Teil des Geldes mitgenommen hat.«
»Hm, welche Umstände auch dazu geführt haben, dass wir heute Abend hier sein dürfen, wir sind jedenfalls sehr dankbar dafür«, versicherte eine der Altstimmen, zu der Flora bisher keinen besonderen Kontakt gehabt hatte. »In einer Kirche wäre es nicht ganz dasselbe gewesen.«
»Die Sandwiches waren übrigens auch sehr gut«, verkündete Euan mit vollem Mund. »Eier und Kresse, das ist mein Lieblingssandwich.«
Zu guter Letzt hörten alle auf zu essen und zu trinken. James sammelte seine Schar ein, und im Gänsemarsch ging es zurück in die Orangerie. Flora war jetzt sehr viel entspannter und hatte das Gefühl, dass sie der ziemlich komplizierten Version von Der Herr ist mein Hirte gewachsen sein würde, denn ihre Gedanken waren nun ganz bei der Sache. Dann blickte sie törichterweise auf, um festzustellen, ob ihre Mutter zufrieden war, und sah bei dieser Gelegenheit auch Charles. Er saß am Ende einer der Reihen. Sie spürte, wie sie errötete, blickte starr zu James hinüber und versuchte, sich zu konzentrieren. James suchte mit allen Chormitgliedern Blickkontakt, und als er Flora sah, hob er noch einmal sein Bild von dem grinsenden Gesicht in die Höhe.
Vergiss ihn einfach, ermahnte sie sich und zwang ihre Lippen zu einem Lächeln.
Wie die Zunge stetig nach einem schmerzenden Zahn sucht, wanderte Floras Blick allzu oft zu Charles hinüber. Als sie sich endlich von ihm löste, sah sie etwas, bei dem ihr Herz einige Schläge aussetzte, und um ein Haar hätte sie den Überblick über die Noten verloren, die sie als nächste singen musste. Einige Reihen hinter Charles saßen William ... und Annabelle zusammen.
Was um alles in der Welt taten die beiden hier? Zusammen? Flora hoffte aufrichtig, dass niemand mitbekam, wie schockiert sie war. Sie wagte es nicht, noch ein Mal ins Publikum zu blicken, und lächelte zwischen den einzelnen Stücken angestrengt. Was war hier los? Gab es irgendeine Möglichkeit, zu verhindern, den dreien später zu begegnen? Nein, das wurde ihr sehr schnell klar. Aber wenn William und
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