Eine kurze Geschichte der alltäglichen Dinge
unterhalten soll«. Schließlich habe er nichts zu verlieren, denn er könne seine Kinder zu Hause arbeiten lassen, wo er, »wenn die Geschäfte florieren, den Gewinn einstreicht; und wenn sie darniederliegen, lässt er die Kinder von der Gemeinde unterhalten«.
Damit die Armen auf keinen Fall für ihre Faulheit belohnt wurden, sollte es in den neuen Arbeitshäusern so streng und freudlos zugehen wie möglich. Ehemänner wurden von ihren Frauen getrennt, Kinder von ihren Eltern; oft mussten die Insassen Sträflingskleidung tragen, und das Essen war mit Absicht ekelig. »Unter gar keinen Umständen darf das Essen besser als die normale Ernährung der arbeitenden Klassen in der Gegend sein, ja, nicht einmal gleich gut«, verfügte der Ausschuss. In den Speisesälen und während der Arbeitsstunden war Reden verboten. Jedwede Hoffnung auf das kleinste bisschen Zufriedenheit wurde erbarmungslos erstickt.
Um Unterkunft und sogenannte Verpflegung zu verdienen, mussten die Arbeitshäusler eine bestimmte Anzahl Stunden am Tag arbeiten. Häufig Werg zupfen. Werg war altes, dick mit Teer beschmiertes Seil, mit dem man Schiffe kalfaterte. Es zupfen hieß, Fasern und Stränge loszureißen, damit sie wieder benutzt werden konnten. Diese Arbeit war schwer und unendlich mühsam, und verletzen konnte man sich dabei auch — die steifen Fasern waren messerscharf. Im Poplar Workhouse in Ostlondon mussten männliche Insassen fünf Pfund Werg am Tag zupfen — fast doppelt so viel, wie man es von Zuchthäuslern verlangte. Wer das Soll nicht schaffte, wurde auf kleinere Essensrationen, das heißt Brot und Wasser gesetzt. 1873 waren zwei Drittel der Insassen von Poplar auf Sparflammenration. Im Armenhaus in Andover in Hampshire, wo die Insassen Knochen für Dünger zerschlagen mussten, lutschten sie vor lauter Hunger das Mark daraus.
Die medizinische Versorgung war nicht nur überall mangelhaft, sondern wurde auch nur höchst widerwillig gewährt. (Patienten aus Arbeitshäusern operierte man, um Kosten zu sparen, grundsätzlich ohne Narkose.) Krankheiten waren natürlich weit verbreitet, besonders die berüchtigte, in zwei Formen auftretende Tuberkulose: die Lungentuberkulose oder Schwindsucht und die Skrofulose, die Knochen, Muskeln und Haut befiel. Typhus war ebenfalls eine ständige Bedrohung. Weil Kinder ohnehin schon schlecht ernährt waren, forderten Krankheiten, die heute nur lästig sind, viele Opfer, im neunzehnten Jahrhundert besonders die Masern. Zehntausende starben auch an Keuchhusten und Diphterie, und nirgendwo konnten sich diese Krankheiten besser ausbreiten als in einem schmutzigen, überbelegten Arbeitshaus.
Manche dieser Anstalten waren so schlimm, dass sie sogar eigene Krankheiten hervorbrachten. Eine chronische, nie näher diagnostizierte — heute meint man, dass es eine Kombination von Hautentzündungen war — hieß »die Krätze«. Höchstwahrscheinlich wurde sie von mangelhafter Hygiene hervorgerufen, doch schlechte Ernährung trug garantiert das Ihrige dazu bei. Wegen mangelhafter Hygiene und Unterernährung waren auch Faden-und Bandwürmer sowie andere schlängelige Eindringlinge mehr oder weniger allgemein verbreitet. Arzneimittelfirmen wie etwa eine in Manchester hatten dazu zwar Abführmittel ersonnen, die versprachen, selbst den letzten unwillkommenen Parasiten aus dem Darmtrakt zuverlässig, wenn auch hochexplosiv zu vertreiben (und ein Betroffener bezeugte auch stolz, er habe dreihundert Würmer »hervorgebracht, manche davon ungewöhnlich dick«), doch von solcher Rettung konnten die Menschen in Arbeitshäusern nur träumen.
Häufig litten sie an Hautflechten und anderen Pilzerkrankungen. Und dann die Läuse! Abhilfe versuchte man dadurch zu schaffen, dass man Bettwäsche in einer Lösung aus Quecksilberchlorid und Chlorkalk einweichte, wodurch die Wäsche nicht nur für die Läuse, sondern auch für die bedauernswerten Menschen, die darin schliefen, giftig wurde. Leute, die neu ins Arbeitshaus kamen, wurden mit groben Mitteln desinfiziert. In den Midlands ordnete eine Vorsteherin an, einen über die Maßen übelriechenden Knaben namens Henry Cartwright in eine Lösung aus Kaliumsulfat zu stecken, damit der Gestank verging. Stattdessen verging der Knabe. Als man ihn wieder herausfischte, war er tot.
Ganz gleichgültig waren den Behörden solche abscheulichen Vorgehensweisen nicht. In Brentwood in Essex wurde eine Pflegerin namens Elizabeth Gillespie vor Gericht gebracht und zu fünf Jahren
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