Eine Liebe auf Korfu
feuchten Schimmer in den grünen Augen gesehen. „Verzeihen Sie die Frage – waren Ihre Eltern verheiratet?“
„Gewiss, Ma’am. Hier habe ich alle meine Dokumente.“ Alessa öffnete den Lederbeutel, der an ihrer Taille hing. „Da sind die Armeepapiere meines Vaters, der Trauschein und meine Geburtsurkunde.“
Die Belege in der Hand, ging sie zu Lady Blackstone. Aber die ältere Frau blieb reglos stehen und starrte durch die offene Terrassentür. Da legte Alessa die vergilbten, mit Wasserflecken übersäten Bescheinigungen auf einen Konsoltisch und trat zurück.
„Wann ist er gestorben?“, fragte Ihre Ladyschaft.
„Vor fast sechs Jahren während eines Sturms. Papa war Offizier, tätig im Geheimdienst.“ Einige Sekunden lang wartete Alessa vergeblich auf eine Reaktion, dann fügte sie hinzu: „Ich bin sehr stolz auf ihn. Und ich verstehe nicht, warum die Familie ihn abgelehnt hat.“
„Oh, das ist schon so lange her …“ Die Stimme ihrer Tante klang müde und traurig. Zögernd drehte sie sich um, ergriff die Papiere und inspizierte sie. „Eigentlich muss ich mir diese Dokumente nicht anschauen. Du bist zweifellos Alex’ Tochter. Wie könnte ich das bestreiten? Damals erfuhren wir von seiner Heirat. Aber mein Vater beharrte auf seinem Standpunkt – einmal das schwarze Schaf, immer das schwarze Schaf.“
„Ja, Papa erklärte mir, er sei stets sehr unkonventionell gewesen – ein Exzentriker.“
„Allerdings, das war er. Falls er es darauf angelegt hat, seinen Vater zu schockieren, ist es ihm gelungen.“ Lady Blackstone legte die Dokumente beiseite und richtete ihren Blick auf Alessa. „Was willst du von deiner Familie?“
„Nichts, was mir nicht zustehen würde.“ Was hatte sie erwartet? Sicher nicht diese kühle Zurückhaltung, das Eis über den Tränen, die sie eben noch gesehen hatte … „Möglicherweise hat Papa ein kleines Erbe hinterlassen, das mir zufallen würde. Wenn das stimmt, möchte ich nach England zurückkehren, mein Eigentum beanspruchen und entscheiden, ob ich dort leben werde. Sollte mir nichts gehören – werde ich wieder hierher fahren, wo ich mich ernähren kann“, erklärte sie.
„Oder du bleibst auf Korfu und überlässt es unseren Anwälten, die finanziellen Arrangements zu treffen.“
Also wird mich die Familie nicht willkommen heißen …
„Dein Vater besaß ein kleines Landgut in Suffolk, das tausend Pfund pro Jahr abwirft. Von diesem Geld könntest du hier wie eine Königin leben.“
Blitzschnell rechnete Alessa die Summe in venezianische Dukaten und französische Louis um. In der Tat, ihre Tante hatte nicht übertrieben. Jetzt stand es endgültig fest – Lady Blackstone wollte ihre Nichte nicht im Schoß der Familie aufnehmen. Denn die Tochter eines geliebten, verlorenen Bruders würde zu viele Erinnerungen heraufbeschwören. Vielleicht empfand die Tante Schuldgefühle, weil sie sich nicht für den jüngeren Bruder eingesetzt hatte. Oder sie konnte sich diese Fremde mit den vertrauten Augen, die ein akzentfreies Englisch sprach und wie eine korfiotische Bäuerin gekleidet war, nicht in der Londoner Gesellschaft vorstellen.
Natürlich werde ich sie nicht anflehen, mich nach England mitzunehmen. In ihrer Brust mischten sich Zorn, Bedauern und Enttäuschung mit einer wachsenden Erleichterung.
Mit tausend Pfund pro Jahr würde sie ihren Kindern auf dieser Insel alles bieten können, was sie verdienten. Allerdings – es gab einen Grund, warum ihr England verlo ckend erschien. Auf Korfu würde sie Benedict niemals auf gleicher Ebene begegnen. Aber in England müsste ich mit ansehen, wie er eine andere Frau umwirbt.
„Ob ich weiterhin hier leben oder zu meiner englischen Familie ziehen werde, will ich mir erst einmal überlegen …“
„Mama, darf ich um den Klosterfelsen herumsegeln? Oh, verzeih mir, ich wusste nicht, dass du Besuch hast.“ Eine junge Dame betrat den Raum, die wie Alessas Schwester aussah. Die beiden Gentlemen, die sie begleiteten, erkannte Alessa sofort. In der Stadt wusste jeder über den exotischen Grafen aus Albanien Bescheid. Und der andere Mann, der viel seriöser wirkte, war Mr. Harrison, der Sekretär des Lord High Commissioners. Alle drei starrten Alessa an.
Dann war Mr. Harrison der Erste, dem die Stimme wie der gehorchte. „ Kyria Alessa, ich hatte nicht erwartet, Sie auf dieser Seite der Insel anzutreffen.“
Forschend ließ der Graf seinen Blick von einer Dame zur anderen schweifen. „Also haben Sie Ihre Verwandte
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