Eine Liebe fürs Leben
Hörnern zu packen und Riccardo auf seinem eigenen Terrain zu konfrontieren. Es war schon schlimm genug gewesen, sich in ihren eigenen vier Wänden mit ihm auseinanderzusetzen. Doch während sie sich sorgfältig für die Begegnung zurechtmachte, spürte sie, wie sich ihr Magen unheilvoll verkrampfte.
Ihre normale Morgenroutine schien sich albtraumhaft in die Länge zu ziehen. Charlotte hatte Gina sogar erlaubt, neben Joghurt und Sandwich auch einen Schokoladenriegel mit in die Schule zu nehmen. Heute war ein Tag, an dem sie ganz gewiss keine Kraft für Diskussionen über die richtige Ernährung hatte.
Als das Taxi sie vor einem modernen Gebäude ganz aus Glas und Stahl absetzte, wünschte sie sich fast, Riccardo wäre gar nicht da – am besten wäre er auf einem anderen Kontinent, weit weg von ihr und Gina.
Aber wahrscheinlich war er da. Und sie würde sofort zu ihm geführt werden, wenn sie der Sekretärin erst einmal ihren Namen genannt hatte. Wie ein wehrloses kleines Kaninchen, das man heimtückisch in den Fuchsbau lotste.
Ihre Befürchtungen schienen sich zu bestätigen, als die Rezeptionistin in der Chefetage anrief und erfuhr, dass Mr. Di Napoli im Haus war und Mrs. Chandler tatsächlich empfangen würde.
Besser noch – seine Sekretärin würde sie hier unten abholen! Die Rezeptionistin schaute Charlotte mit neuem Respekt an. Offensichtlich war an der Blondine mit dem schlichten Outfit doch mehr dran, als auf den ersten Blick ersichtlich.
Charlottes konservative Kleidung war bewusst gewählt. Damit wollte sie Riccardo signalisieren, dass es um eine sachliche Auseinandersetzung ging. Sie würde sich weder von ihm überrumpeln lassen, noch würde sie direkt einen Krieg gegen ihn anzetteln. Daher hatte sie sich für ein Kostüm in dezentem Grau entschieden. Dazu trug sie eine weinrote Bluse.
Während sie mit dem Aufzug nach oben fuhr, dachte sie, dass es ihr jetzt nur noch gelingen musste, sich zu entspannen. Dann würde sie vielleicht sogar etwas erreichen.
Doch so einfach war das nicht. Riccardo hatte immer noch eine starke Wirkung auf sie. Sie wünschte, es wäre ein klarer Fall von Hass, doch da war auch noch etwas anderes. Wie eine gefährliche Schlange, die im Gebüsch lauerte. Sie fühlte sich nach wie vor zu ihm hingezogen – vermutlich hatte dieses Gefühl nie aufgehört, doch jetzt schien es an Stärke sogar noch zuzunehmen.
Armer Ben. Am Vorabend hatte sie ihn getroffen und ihm bedauernd erklärt, dass er sich besser nach jemand anderem umsehen sollte.
„Ich verdiene dich nicht, Ben“, sagte Charlotte wahrheitsgemäß und legte über den Tisch hinweg eine Hand auf seine. „Du bist ein unheimlich netter Kerl, aber du brauchst eine Frau, die ohne einen Haufen Komplikationen daherkommt.“
„Du meinst eine Frau, die ohne einen Rivalen daherkommt.“
„Nein!“ Sie schüttelte heftig den Kopf. „Riccardo? Ein Rivale? Nicht in einer Million Jahren! Aber ich befinde mich im Moment in einer sehr schwierigen Situation, und es wäre nicht fair, dich in diesen ganzen Schlamassel mit hineinzuziehen.“
„Vielleicht ist es gut, dass er von Gina weiß.“
„Das würdest du nicht sagen, wenn du den Mann kennen würdest.“ Sie war erleichtert gewesen, dass Ben es so gut aufnahm. Sie waren als Freunde auseinandergegangen. Später fragte sie sich allerdings, ob er für sie überhaupt der Richtige gewesen wäre. Oder sie für ihn, wenn der Bruch eine derart schmerzlose Angelegenheit war.
Der Aufzug hielt an. Charlotte war bewusst, dass Riccardos Sekretärin – eine ältere Dame – die ganze Zeit höfliche Konversation betrieben hatte. Hoffentlich erwartete sie keine Antwort. Denn das Letzte, was Charlotte jetzt brauchte, war Small Talk mit jemandem, den sie nicht kannte.
Riccardos Büro befand sich am Ende eines langen Korridors. Schwere Eichentüren zu beiden Seiten deuteten darauf hin, dass die Menschen dahinter sehr wichtig waren. Die große Doppeltür von Riccardos Büro bewies, dass er sogar noch wichtiger war. Die Sekretärin schob Charlotte sanft hinein.
Riccardo saß auf einem großen braunen Ledersessel und blickte durch das Panoramafenster seines Büros nach draußen. Langsam drehte er sich zu ihr um. In den vergangenen Tagen hatte er ein Gefühlschaos durchlebt, das ihm völlig fremd war. Die wenigen Stunden Schlaf, die er bekommen hatte, konnte er an einer Hand abzählen. Und bei der Arbeit funktionierte er nur noch, indem er auf Autopilot umgeschaltete.
Eine Woche hatte er
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