Eine Liebe fürs Leben
sich gegeben, um die Neuigkeit zu verdauen. Doch die Zeit hatte nicht gereicht, um die ganze Situation unter Kontrolle zu bringen. Noch immer war er viel zu aufgewühlt. Ein weiterer Besuch bei Charlie machte daher wenig Sinn. Umso besser, dass sie nun zu ihm gekommen war. Auf sein Territorium.
„Ich weiß, du wolltest dich bei mir melden“, begann Charlotte ohne Vorrede oder Begrüßung. „Aber ich kann nicht einfach herumsitzen und darauf warten, dass du mitsamt deiner sogenannten ‚Lösung‘ an meine Tür klopfst.“
„Setz dich.“ Es war mehr ein Befehl als eine Einladung, sodass Charlotte im ersten Moment zögerte. Es gefiel ihr ganz und gar nicht, dass er sie herumkommandierte. Früher war er nicht so gewesen, oder? Doch rasch erinnerte sie sich daran, dass es nicht in ihrem Interesse lag, sich an den Mann von früher zu entsinnen. Das lenkte sie viel zu sehr von dem Mann ab, der er jetzt war – jenem Mann, den sie unbedingt auf Abstand halten musste. Zu ihrem Wohl und zum Wohle ihrer Tochter. Schweigend nahm sie Platz.
„Also?“ Riccardo schob seinen Stuhl ein Stückchen vom Schreibtisch fort, sodass er die Beine übereinanderschlagen konnte. Er schaute sie ruhig an und hatte keine Eile, das Schweigen zu brechen. Natürlich hegte er ein gewisses Interesse an dem, was Charlie ihm zu sagen hatte. Doch im Grunde kannte er bereits die Lösung. Als er beobachtet hatte, wie sie unschlüssig an der Tür verharrte, hatte ihn mit einem Mal eine große Klarheit erfüllt.
Charlotte räusperte sich. „Ich möchte nicht über die Vergangenheit reden. Ich weiß, was du denkst. Du bist der Ansicht, dass es meine Pflicht gewesen wäre, dir von der Schwangerschaft zu berichten. Aber ich war damals nur ein verängstigter, desillusionierter Teenager. Ich konnte den Gedanken nicht ertragen, einfach alles zu akzeptieren, was deine Mutter mir vorschreiben würde. Und meine größte Angst war natürlich, dass ihr mir mein Baby wegnehmt. Dennoch hätte ich den Mut dazu aufbringen müssen, mich der Situation zu stellen.“
Riccardo machte ein grimmiges Gesicht. So formuliert, klang das alles sehr einleuchtend. Und wenn er ganz ehrlich war, so gefiel ihm sein damaliges Verhalten auch ganz und gar nicht. Es musste Charlie wahnsinnige Überwindung gekostet haben, zu ihm zu kommen, nur um dann auf unverhüllte Ablehnung zu stoßen. Natürlich war das kein Grund, ihm seine Tochter zu verheimlichen. Doch er konnte zumindest einsehen, wie sich die Sache aus Charlies Blickwinkel verhielt.
„Diesen Mut, mich der Situation zu stellen, habe ich nicht gehabt“, fuhr sie fort. „Dennoch musst du mir glauben, dass ich Gina immer von dir erzählen wollte.“
„Doch dieser Versuchung hast du tapfer widerstanden“, versetzte er sarkastisch.
„Versuchung ist nicht unbedingt das Wort, das ich benutzen würde“, gab Charlotte zu. „Es fühlte sich mehr wie eine Art Pflicht an, die ich noch … ein Weilchen aufschieben konnte.“
„Hättest du denn jemals den Mut aufgebracht, Charlie? Oder hättest du Gina irgendwann einfach erzählt, ihr Vater sei tot?“
Charlotte schaute ihn mit echtem Entsetzen an. „Für was für einen Menschen hältst du mich?“
„Für einen, der den leichtesten Ausweg wählt!“
„Aber ich hätte Gina doch niemals angelogen! Mir war immer klar, dass sie früher oder später fragen würde, wer ihr Vater ist. Und darauf war ich vorbereitet!“
Früher oder später. Riccardo beherrschte sich mühsam. Nach so langer Zeit wäre er sowieso nur noch ein Fremder für seine Tochter gewesen. Dachte Charlie wirklich, dass er dann noch die Chance gehabt hätte, eine echte Beziehung zu Gina aufzubauen?
„Und warum bist du jetzt hier?“, fragte er so ruhig wie möglich. „Was willst du mir eigentlich sagen?“
Charlotte holte tief Luft. Wenn sie ehrlich war, wusste sie das auch nicht so recht. „Ich denke, dass ich diejenige sein sollte, die Gina von dir erzählt.“ Sie hob eine Hand, um den Protest zu unterbinden, der gar nicht kam. „Und dann kannst du sie treffen. Natürlich wirst du sie kennenlernen wollen …“
Sie stellte sich vor, wie Riccardo von nun an ein Teil ihres Lebens wurde – ein Mann, der sie nicht wollte, der aber dummerweise durch die Vergangenheit an sie gekettet war. Würde er sie im Laufe der Zeit deshalb immer mehr verachten? Was würde sie fühlen, wenn er heiratete und Kinder bekam? „Ich werde dir nicht im Weg stehen. Wir können gemeinsam festlegen, wann und wo du Gina
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