Eine Luege ist nicht genug
töten.«
»Und woher weißt du, ob einer von ihnen das überhaupt sieht?«
»Es gibt eine Sache, die jeder macht«, flüsterte ich, »und das ist, das Programm durchzublättern, bevor es losgeht. Sonst gibt es ja nichts zu tun, während man wartet.«
Wenige Sitze vor uns hatten Gilbert und Roscoe ihre Programme zusammengerollt und benutzten sie, um sich gegenseitig damit zu schlagen.
»Na ja«, sagte ich. »Fast nichts.«
Unglücklicherweise griffen die Piraten erst im dritten Akt an. Das Stück folgte im Groben dem Handlungsablauf von Shakespeares Hamlet , konzentrierte sich aber auf die Nebenfiguren Rosenkrantz und Güldenstern. Ich persönlich bin es ein bisschen leid, dass jeder Autor ohne eigene zündende Idee einem »Klassiker« einen modernen Dreh aufsetzt, doch ich war ein großer Fan von Rosenkrantz und Güldenstern sind tot . Hamilton offensichtlich nicht. Das ganze Stück über machte er mich verrückt.
»Greifen die Piraten bald an?«
»Nein.«
»Jetzt?«
»Nein.«
»Greifen die Piraten noch in diesem Akt an?«
»Nein.«
Und so weiter.
Als schließlich der dritte Akt kam, hockte Hamilton auf der Sitzkante. Candy lief im dritten Akt als der Spieler zur Hochform auf. Er setzte eine andere Stimme ein und trat dadurch ganz anders auf, und ich musste zugeben, dass er gut war. Doch das bedeutete auch, dass er den Unschuldigen nur gespielt haben konnte, als er bei mir im Zimmer seine Zigarette geraucht hatte.
»He, kenne ich den Typ?«, fragte Hamilton.
»Er hat dir ein oder zwei Mal einen Drink gebracht«, flüsterte ich zurück.
Als der Akt sich hinzog, sackte Hamilton in seinem Sitz zusammen. Dann schrie jemand auf der Bühne: »Piraten!«, und plötzlich rannten alle Schauspieler hin und her, kämpften und starben.
»Das wäre dann der Angriff der Piraten«, sagte ich zu Hamilton. »Jetzt pass auf.«
Anstatt uns auf das Handgemenge zu konzentrieren, das auf der Bühne stattfand, beobachteten wir das Publikum. »Komm schon, komm schon«, murmelte ich. »Einer von euch muss aufstehen.«
Mrs Prince stand auf.
»Nein!«, flüsterte Hamilton.
Hamilton war drauf und dran, von seinem Sitz aufzuspringen. Ich legte den einen Arm über seine Brust und sah mich im Zuschauerraum um. Rechts von uns saß Branff, die Augen auf die Bühne gerichtet, doch Olivia auf der anderen Seite war weg. Verdammt, wann hatte ich das letzte Mal nach ihr geschaut?
»Es kann nicht meine Mom sein«, sagte Hamilton.
Ich hob den Finger, um ihm zu bedeuten, dass er warten sollte, dann deutete ich durch den Raum. Mrs Prince war nur aufgestanden, um Claude vorbeizulassen, und setzte sich wieder, sobald er weg war.
»Claude«, sagte Hamilton. »W orauf warten wir noch? Müssen wir nicht hinter die Bühne? Um sicherzugehen, dass er nicht nur aufs Klo wollte?«
»Geduld, du Grashüpfer.« Ich lenkte seine Aufmerksamkeit auf die Bühne.
Der Angriff der Piraten war zu Ende, und der Spieler (Candy) und seine Truppe hatten die Bühne wieder eingenommen, um sich mit Rosenkrantz und Güldenstern ein Wortgeplänkel zu liefern. Das Stück war fast vorbei, und der Spieler versuchte, den beiden Hauptfiguren zu erklären, dass es mit Tod enden müsste. Ihrem Tod. Sie steuerten auf die Szene zu, die ich bei der Probe gesehen hatte, als ich gestern mit Mrs Prince auf der Tribüne saß. Und wie der Trick funktioniert, dass die beiden aufgehängten Puppen wie auf magische Weise hinter dem auftauchen, was die Bühnentechniker eine »Stoffkulisse« nennen. Sie besteht aus einem großen Stück Gaze, das undurchsichtig wirkt, bis der Raum dahinter erleuchtet wird. Dann kann man plötzlich sehen, was auf der anderen Seite ist, als würde man durch ein Fenster blicken.
»Zeigen!«, rief der Spieler mit einer schwungvollen Bewegung.
Die Lichter gingen an. Die Stoffkulisse verschwand und man sah die Leichen von Rosenkrantz und Güldenstern an einem Seil baumeln.
Und direkt unter ihnen, gut beleuchtet, sodass ihn alle sehen konnten, stand Claude Prince.
Das Publikum lachte sich kaputt. Wahrscheinlich gab es nicht einen Menschen hier, der ihn nicht kannte, wahrscheinlich arbeitete sogar die Hälfte für ihn. Die Schauspieler auf der Bühne waren wie versteinert. Claudes Gesichtsausdruck wechselte von geschockt zu erschreckt zu peinlich berührt, und das alles in der Spanne von rund drei Sekunden.
»Tut mir leid«, witzelte er. »Ich habe nur die Toilette gesucht.«
Ich musste Hamilton nicht darauf hinweisen, dass sich die einzige Toilette
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