Eine magische Begegnung
dass ich mich vollkommen vergesse, als würde dir etwas …” Als würde ihm etwas an ihr liegen.
Er zog sie liebevoll näher zu sich und zwang sie, ihm in die Augen zu sehen. “Lili, es war ein flüchtiger Gedanke, mehr nicht. Ich habe lediglich versucht, eine Erklärung für etwas zu finden, das mir unbegreiflich ist.”
Er konnte nicht fassen, was er gerade angerichtet hatte. Er hatte vorhin fast mit ihr geschlafen und sie jetzt furchtbar verletzt. Doch sie schrie ihn weder an, noch weinte sie.
“Tanner, könntest du jetzt bitte gehen? Ich würde gern meinen Tee alleine trinken und in Ruhe verdauen, was du gerade gesagt hast.”
Sie würde sich das Weinen für später aufsparen, wenn sie herausgefunden hatte, ob sie das, was er ihr gerade eröffnet hatte, verkraften konnte oder nicht.
“Das ging aber schnell.” Roscoe stellte Bier für die Jungs auf den Tisch.
Tanner war drüben bei Lili – aber hallo, damit, dass sich die Dinge so günstig entwickeln würden, hatte Roscoe gar nicht gerechnet –, und Erika war oben, sah fern beziehungsweise versuchte wieder einmal, Fluffy zu beruhigen. Der Kater war schon vor der Nacht im Baum ein überaus nervöses Wesen gewesen. Und als er vorhin Chesters Auto in der Einfahrt gehört hatte, war er sofort geflüchtet. Das Tier entwickelte langsam paranoide Züge.
Dass Tanner und Erika außer Sichtweite waren, kam Roscoe jetzt allerdings durchaus gelegen.
“Ich habe es im Polizeifunk gehört”, sagte Linwood, schnappte sich einen Stuhl und setzte sich. “Also habe ich Chester angerufen, und dann haben wir Hiram abgeholt.” In der Eile hatte er vergessen, seine Medaillen anzustecken. Er bewahrte sie in einem Holzkästchen im obersten Regal seines Kleiderschranks auf – mit der Begründung, dass sie nicht länger dem Sonnenlicht ausgesetzt werden dürften als unbedingt notwendig. Das hinderte ihn jedoch nicht daran, sie immer zu tragen – egal, wohin er ging.
“Linwood will die ganze Geschichte hören”, erklärte Hiram leicht vorwurfsvoll. “Er muss sich immer überall einmischen. Man könnte meinen, der Mann hätte weibliche Gene.”
“Nimm das zurück, Hiram.” Linwood drohte ihm mit der Faust. “Du warst derjenige, der vorgeschlagen hat, schnellstens zu Roscoe zu fahren.”
Roscoe gab allen ein Bier, zog dann den einzigen noch freien Stuhl unter dem Küchentisch heraus, stellte seinen Fuß darauf und stützte sich mit dem Ellbogen auf sein Knie.
“Ihr wollt also eine Exklusivmeldung hören. Tja, was ist euch die Sache wert?” Er genoss es, im Mittelpunkt zu stehen. Noch mehr gefiel es ihm, die Oberhand zu haben. Vor allem da Hiram sonst immer derjenige war, der sich für den Schlauesten hielt.
“Du kannst es doch gar nicht erwarten, es uns zu erzählen, du falscher Hund.” Chester wischte sich ein bisschen Spucke vom Kinn.
Chester hatte recht, Roscoe brannte darauf, alles zu erzählen. Denn in dem Augenblick, als er den Kies in der Einfahrt unter den Reifen des alten Lincoln knirschen gehört hatte, war ihm eine geniale Idee gekommen. Chester und Linwood waren die größten Klatschmäuler der ganzen Stadt. Und sie liebten ihren allmorgendlichen Tratsch im “Coffee Stain”.
“Nun ja, angefangen hat alles mit Lili.”
“Wer ist Lili?”, fragte Chester.
Roscoe musste sich beherrschen, um nicht genervt mit den Augen zu rollen. “Du hast sie gestern Abend kennengelernt. Die, die aussieht wie Deanna Durbin.”
“Ach, richtig. Hübsches junges Ding.”
“Und sie redet mit Tieren.”
Hiram räusperte sich. Das konnte er ausgesprochen gut. “Erzähl endlich weiter.”
Und Roscoe begann zu erzählen …
Morgen früh würde ganz Benton wissen, dass Lili von der Leiche gewusst hatte, bevor man sie fand. Tanner würde Stellung beziehen müssen. Denn der Sheriff würde anfangen, ihn über Lili auszufragen, und Roscoe war sich sicher, dass Tanner sie nicht einfach den Wölfen zum Fraß vorwerfen würde. Er würde sie beschützen müssen. Nicht dass Lili wirklich Schutz brauchte. Sie war ja unschuldig. Und Gresswell würde das sofort merken, wenn er mit ihr persönlich redete.
Es war ein hinterhältiger Plan. Doch sein Sohn brauchte Unterstützung, damit er endlich erkannte, dass Lili die ideale Frau für ihn war. Und die ideale Mutter für Erika.
Chester Pawson hatte seinen Lincoln hinter Tanners Sedan geparkt. Wenn der Wagen von Roscoes Kumpel nicht die Einfahrt blockiert hätte, hätte Tanner das tun können, was ihm im Moment am
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