Eine Messe für die Stadt Arras
reicht, hat sich Albert und seine nächste Umgebung zu den Bürgern der Stadt stets so betragen wie ein Mann gegenüber einer Frau, die er besitzen möchte. Etwas von Verachtung, von Furcht und Zärtlichkeit lag darin. Mehr als zwanzig Jahre lang hatte sich Albert um die Gunst der Stadt Arras bemüht. Ich denke, daß das seinen Verstand in Spannung und Unrast hielt. Zwar brachten ihm die Bürger furchtsame Achtung entgegen, aber das bedeutete noch lange nicht, daß sie demütig die Köpfe beugten und ängstlich das Maul hielten. Für gewöhnlich hatten auch sie ihre Argumente, und falls es um wichtige Dinge ging, krakeelten sie, daß es seine Art hatte. Man mußte sich Mühe geben, um sie zu überzeugen, mußte Eingang in diese Dickschädel, in diese bisweilen beschränkten, dann wieder ungemein scharfsinnigen Hirne finden. Das hing von der jeweiligen Situation ab. Vorjahren wollten sie zum Beispiel partout die Engländer halten, und es kam ihnen durchaus nicht in den Sinn, dem Beispiel Burgunds zu folgen und sich mit König Charles zu verbünden. Unter der englischen Herrschaft blühte die Stadt auf, obwohl bewaffnete Banden raubten und plünderten; die Bürger von Arras webten ihre kunstvollen Bildteppiche und verkauften sie mit Gewinn auf der anderen Seite des Kanals. Die Armut des französischen Hofes war allzu offensichtlich, als daß die Handwerker und Kaufleute aus Artois sich gar zu rasch in Verbündete König Charles’ verwandeln ließen. Vergeblich versuchte Albert sie davon zu überzeugen, daß Jeanne d’Arc eine gute Herrin und ihr Schwert von Gott gegen die Engländer gesegnet sei… Sie hielten sie für eine Dirne und verfluchten den Tag, da sie nach Chinon gekommen war. Jahre mußten vergehen, bis sie sich mit der neuen Situation vertraut gemacht hatten. Ihre Gewebe schickten sie nunmehr nach Brüssel, wo der Herzog von Burgund jede Elle Serge überbezahlte, nur um Arras für seine neue Politik zu kaufen. Aber die Stadt, auch wenn sie wiederum blühte, liebte nun einmal die Engländer und nicht die Franzosen.
In jenen Jahren vollführte Albert diplomatische Kunststücke, um Arras für den Hof zu gewinnen. Und viele ähnliche Fälle gab es, wo er sich tüchtig den Kopf zerbrechen mußte, um seine Meinung durchzusetzen. Die Bürger hüteten ihre Privilegien, sonderten die Spreu vom Weizen und hatten stets das eigene Geschäft im Auge. Man konnte die allgemeine Lage mit den klimatischen Vorgängen über Artois vergleichen, wenn die Gegenwinde wehen und miteinander ringen, was Menschen, Tieren und Pflanzen zum Guten ausschlägt.
Und da war nun alles anders geworden! Seiler und Zimmerleute gingen in den Rat, um gemeinsam zu regieren. Die Straße hatte den ehrwürdigen Vater aufgesogen oder auch er die Straße… Keine einander widerstrebende Elemente mehr – es herrschte Harmonie! Das war der erste Fluch, den die Himmel auf Arras herabgeschleudert haben.
Meine Herren! Wenn ihr meint, daß mit jenem Augenblick die Ratssitzungen zu einem Feld von Streitigkeiten und hitzigen Debatten wurden, irrt ihr euch gewaltig! Denkt nur, welch eine Situation! Sonst hatten die einfachen Leute stets im nachherein von den Entscheidungen des Rates erfahren. Sicher, sie schimpften hin und wieder über die Beschlüsse und protestierten: »Nein, nein und abermals nein! Herr Albert, überlegt Euch noch einmal die Sache; wir sind nicht einverstanden und wollen nicht tun, wir Ihr beschlossen habt… Wir sagen Euch also, überlegt’s Euch gut, damit in der Stadt nicht länger Mißstimmung herrscht.« Daraufhin debattierte der Rat von neuem über das Problem und achtete dabei darauf, daß seine jetzigen Entscheidungen die Leute andere dünkten, milder oder strenger, auf jeden Fall für die Bürger leichter zu schlucken. Die Sache ist die, daß die Straße niemals an diesen Entscheidungen aktiv teilhatte. Sie konnte nein sagen und damit basta! Das verpflichtete Albert zu größerer Mühe, machte ihn aber zu einem vernünftigen Herrscher. Nun aber, mit ihrer Mitgliedschaft im Rat, nahm sie auf einmal an der Beschlußfassung teil. Aber worauf beruhte das?
Was ist der Zimmermann in seinem Hause? Der Zimmermann in seinem Hause ist ein Herr. Was ist ein Zimmermann auf der Straße? Ein Zimmermann auf der Straße ist ein Bürger. Was aber ist ein Zimmermann im Rat? Ein Zimmermann im Rat ist ein demütiger Schweiger. Manchmal muß sich ein Fischer mächtig mit dem Zuggarn herumplagen; der Fisch leistet Widerstand, peitscht mit der
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