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Eine Messe für die Stadt Arras

Eine Messe für die Stadt Arras

Titel: Eine Messe für die Stadt Arras Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrzej Szczypiorski
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Schwanzflosse den Wasserspiegel. Da ist der Fisch noch bei sich, und der Fischer ist im fremden Element. Zieht er aber das Garn ans Ufer, dann ändert sich alles mit einem Schlag. Der Fischer steht fest auf dem felsigen Grund, und des Fisches Zuckungen werden immer schwächer, bis er ganz erstarrt und man ihn getrost an den Bratspieß stecken kann.
    Dasselbe geschah mit den schlichten Leuten im Rat. Man hatte sie ihres eigentlichen Elementes beraubt, ja, was schlimmer war, man hatte ihnen die Leichtigkeit genommen, mit der sie früher nein gesagt hatten. Sie konnten nun nicht mehr rufen: »Nein, nein und abermals nein! Herr Albert, wir sagen dir: nein!« Denn wenn sie protestieren wollten, entgegnete man ihnen: »Es ist euer Recht zu protestieren, und wir sind froh darüber, daß ihr so stolz davon Gebrauch macht! Doch angemessene Entscheidungen müssen getroffen werden, und darum laßt uns hören, was für eine Ansicht ihr vertretet!« Und schwer sank eine Last auf sie nieder, von der sie keine Ahnung gehabt hatten. Sie wanden sich wie Aale und riefen gleich noch einmal: »Nein, nein, so ist’s nicht recht… «, aber weil das ernste und gewissenhafte Menschen waren, verstummten sie gleich wieder; der Schweiß rann ihnen über den Nacken, in die Augen; angstvoll und verzweifelt starrten sie vor sich hin, bis sie schließlich hervorbrachten: »Es soll geschehen, wie Herr Albert gesagt hat!«
    Wie hätten sie auch anders auftreten sollen? Ihnen fehlte die prahlerische Sicherheit, die die Edelgeborenen ihr ganzes Leben lang begleitet. Sie fühlten sich geniert durch die Erlesenheit und Eleganz der Aussprache, die Vornehmheit der Gemächer, Möbel und Kleider. Vor allem aber war es ihr Verantwortungsgefühl, von dem sie sich knebeln ließen.
    Wirklich, Albert hat sich die ewige Seligkeit verdient – wenn nicht durch Taten, so doch zweifellos durch Schläue. Denn schließlich erreichte er, wovon alle Herrscher träumen. Indem er dem niederen Volk einen Teil der Macht übertrug, erlangte er ungeteilte Macht. Indem er die Macht mit den Ungebildeten teilte, behielt er sie ganz für sich! Das war nicht einmal Fürst David gelungen – und zwar wohl darum, weil der Fürst alles geringschätzte, auch die eigene Herrschaft…
    Es kam also zu einer Regierungsform, die Harmonie auf ihr Banner geschrieben hatte. Niemand hätte vermutet, daß sich das als die schwerste Bürde erweisen würde, die das Schicksal Arras auf die Schultern gelegt hat. Merkwürdig, als wir uns damals versammelten, fiel kein einziges Wort aus dem Munde des gemeinen Volkes zum Thema Celus. Als wenn er sich selber ausgelöscht hätte, sank er in Vergessen. Ich unterhielt mich darüber mit Herrn de Saxe:
    »Was für ein schwaches Flämmchen der Gerechtigkeit leuchtet doch in diesen Hirnen. Erst wollten sie lautstark den Juden verteidigen, und jetzt stehen sie angesichts der Würde des Rates wie gebannt und sind bereit, ihre Gewissensruhe zu verschachern für dieses Bröckchen Wichtigkeit, was da von unserem Tisch gefallen ist…«
    Worauf Herr de Saxe erwiderte:
    »Wahrhaftig, ich sehe darin nichts Besonderes. Warum verlangt Ihr von den einfachen Leuten mehr Eifer und Ausdauer in Gewissensfragen, als man sie bei den Herren antreffen kann? Verwirrt sind sie, das ist alles.«
    Herr de Saxe war ein Mensch von großem Feingefühl, nicht wahr?
    Aber wer glaubt, daß sich der Schatten des Juden Celus im Ratssaal fürderhin nicht mehr gezeigt habe, der irrt. Die Zimmerleute und Tuchmacher schwiegen, aber Albert wollte durchaus nicht schweigen – was die Lawine der weiteren Ereignisse ins Rollen brachte.
    Vor den Rat trat ein Mann mit einem Schreiben von den Juden, worin diese baten, man möge ihnen doch Celus’ Leichnam herausgeben. Man führte den Mann in den Saal. Er stand im Dämmer des niedrigen Deckengewölbes – eine schwarze Erscheinung: schwarze Kleidung, schwarzer Bart. Mir schien er biegsam wie eine Stechpalme, die ewigem Wind ausgesetzt ist. Er schwieg, während wir das Schreiben lasen. Dicht bei ihm stand der Gerichtsdiener, ein äußerst robuster, grobschlächtiger Kerl, der den Juden um einen Kopf überragte.
    Und ich dachte damals, daß dieser Jude uns allen voraus ist, uns überrundet auf eine sonderbare Weise, weil er weiß, was wir noch nicht wissen, und wenn wir im Heute leben, so lebt er bereits im Morgen. Übrigens, vielleicht habe ich das gar nicht gedacht, sondern nur Kälte und Unruhe gespürt, so als hätten mich die Schwingen eines

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