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Eine Messe für die Stadt Arras

Eine Messe für die Stadt Arras

Titel: Eine Messe für die Stadt Arras Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrzej Szczypiorski
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Er war mir schon seit eh und je unangenehm gewesen wegen seiner angeborenen Grobheit und Blödigkeit. Aber ich bin von ziemlich labiler Natur, und darum schob ich seine Angelegenheit wieder und wieder hinaus. Einen Knecht fortzuschicken ist allemal peinlich für den Herrn. Also blieb er in meinem Hause, ständig ein wenig lauernd und verschreckt. Aber alle Arbeit verrichtete er ordentlich aus Furcht vor Schlägen. Ich wußte genau, daß dieser Diener mich ganz und gar nicht mochte. Doch als er an jenem Morgen auf der Schwelle stand und mit gesenktem Schädel meiner Befehle harrte, empfand ich plötzlich eine unaussprechliche Freude, daß er bei mir war. Und sogleich verließ mich die Angst.
    Ich weiß nicht, ob die anderen Ratsmitglieder damals böse Träume hatten. Aber daß sie am Vormittag irgendwie beunruhigt und erregt auf dem Rathaus erschienen, das weiß ich. Wie immer setzte ich mich neben Albert. Graf de Saxe und die Herren Meugne und de Vielle nahmen dagegen so weit entfernt Platz wie nie zuvor. Ich dachte damals, daß man das verstehen wird, und irgendwie neidete ich es ihnen. Aber kann man denn ein vom Wind zerzaustes Gesträuch auf einer Sanddüne mit einer Eiche oder Buche vergleichen? Das Geschlecht derer de Saxe war bereits vor Jahrhunderten dem Boden von Artois entsprossen. Die Herren de Vielle leiteten sich von den Kreuzrittern her, die mit Robert von Flandern ins Heilige Land gezogen waren. Herr Meugne, ein Mann undefinierbaren Alters, hatte unseren Herzog Philipp gewartet, als dieser noch ein Knäblein war. Wie man wissen wollte, hatte Herr Meugne Jean dem Unerschrockenen unbezahlbare Dienste beim Streit mit den Armagnaken geleistet… Wer war schon der ehrwürdige Albert im Vergleich zu diesen Männern? Ein dahergelaufener Italiener! Er hatte Arras mit seinem inbrünstigen Glauben und der Vorbildlichkeit seiner Sitten gezügelt, aber das hatte für diese stolzen Herren, die ihm die Macht übertragen und für sich Unabhängigkeit und Überlegenheitsgefühl zurückbehalten hatten, nichts zu besagen. Ich indessen, ich war bloß der Schüler des ehrwürdigen Vaters, war in seinem Glanz zum Manne gereift. Nicht wenige pflegten mich Alberts besseres Teil oder sein Gewissen zu nennen. Selbst wenn dem so war, kann wohl das Gewissen ohne den Menschen, das Teil ohne das Ganze existieren? Das war der Grund, weshalb ich auch diesmal zur Linken des Vaters saß, während jene fern von uns Platz genommen hatten.
    Die Beratungen dauerten an diesem Tag nicht lange. Ein Prolog ist ja immer kurz, doch dafür inhaltsträchtig. Es wird angekündigt, was da kommen soll. So auch in diesem Falle. Unser ehrwürdiger Vater hob die Brauen und ließ sich vernehmen:
    »Ich habe nicht das Recht, so edelgeborene Herren wie Graf de Saxe, Herrn de Vielle und Herrn Meugne zu tadeln. Und ich maße mir dieses Recht auch nicht an. Aber doch kann ich mich eines Staunens nicht erwehren, daß ausgerechnet heute, an einem so feierlichen Tag, die Vornehmsten aus unserer Schar so weit entfernt sitzen, so als fühlten sie sich von irgend etwas unangenehm berührt oder gekränkt. Das muß für die schlichten Menschen hier sehr mißlich sein und ist fürwahr nicht gerade ein Ausdruck christlicher Nächstenliebe!«
    Hierauf Graf de Saxe:
    »Guter Vater Albrecht! Sein Alter rechtfertigt Herrn Meugne voll und ganz. Er kann schließlich nicht in der Zugluft sitzen. Was Herrn de Vielle betrifft, so leidet er an Blutgeschwüren und muß während der Beratungen hin und wieder mal aufstehen und sich Bewegung schaffen. Folglich, um nicht die anderen zu stören, hat er sich abseits gesetzt.«
    Nach dieser Erklärung schwieg Graf de Saxe, Albert aber setzte die Unterredung fort:
    »Sehr schön! Und welche Rücksichten haben Euch geleitet, lieber de Saxe?«
    »Nun, das bedarf keiner weiteren Erläuterung«, erwiderte de Saxe. »Ich setze mich stets dorthin, wo ich Lust habe, mich hinzusetzen. Nicht zu fassen, was für ein kapriziöses Naturell ich habe! Und immer unterliege ich ihm. So auch jetzt… Noch ein Wörtchen in dieser Sache, und mein kapriziöses Naturell zwickt mich in den Arsch, und ich erhebe mich von meinem Platz und gehe hinaus auf die Straße, ohne mich auch nur vor diesem hohen Rat zu verbeugen…«
    Albert schien mir sehr verärgert, aber er sagte nichts weiter. Äußerst merkwürdig nahmen diese Darlegung Herrn de Saxe’ die einfachen Leute auf. Mit furchtsamer Hochachtung schauten sie zu ihm, und wenn er damals irgendwelche

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