Eine Nacht ist nicht genug
wusste schließlich, wie hart Emily gearbeitet hatte – begriff sie das denn nicht? Was sie geschafft hatte, war so viel mehr wert als ein paar gute Noten im Studium. Luca wusste, dass viele Akademiker mit Doktortitel niemals mit einer solchen Verantwortung zurechtgekommen wären. Außerdem war es ihr gelungen, ihrer jüngeren Schwester Selbstvertrauen und Zuversicht zu schenken.
Aber um welchen Preis? Emilys eigene Sehnsüchte und ihr ganzes Leben waren auf Eis gelegt worden, und Luca wollte, dass sie sich nun damit befasste. Er hatte ihr Selbstvertrauen stärken, ihr verdeutlichen wollen, wie wunderschön, klug und großmütig sie war – indem er ihr zeigte, wie sehr er sie begehrte. Aber das war ein Fehler gewesen, denn schon bei der ersten Berührung hatte er fast gänzlich die Kontrolle verloren.
Emily probierte einige Akkorde aus und erklärte: „Leider habe ich nicht so eine gute Stimme wie meine Schwester. Und ich liebe zwar klassische Musik, muss aber gestehen, dass ich eine Schwäche für Blues habe.“ Sie ließ die Finger über die Tasten gleiten und improvisierte ein Jazz-Standardstück.
Ihre Stimme, tiefer und ein wenig heiser, erregte Luca so heftig, dass er es kaum aushalten konnte. Emily hatte zwar nicht die klare Opernstimme ihrer Schwester, aber viel mehr emotionale Tiefe. Es faszinierte, erregte und erschreckte ihn.
Zu seiner Erleichterung war das Stück bald zu Ende, denn es kostete ihn viel Kraft, sie nur ansehen und nicht berühren zu können. Doch dann bat Francine sie, noch ein Stück zu spielen. Emily willigte unter der Bedingung ein, dass nun Francine singen würde, die sich lächelnd neben sie setzte und schon nach kurzer Zeit völlig begeistert von ihr war.
Dann sah Luca einfach nur noch Emily an. Die Diamanten ihres Armbands glitzerten genauso, wie er es sich ausgemalt hatte. Ich werde nie bereuen, ihr dieses Geschenk gemacht zu haben, dachte er. Sie verdient es, verwöhnt zu werden, und das Schmuckstück war ebenso wunderschön und elegant wie sie selbst. Wie Emily schien es von innen zu leuchten. Dennoch wünschte Luca einen Moment lang, er hätte stattdessen Handschellen gekauft, mit denen er sie ans Bett fesseln und aus anderen Bereichen seines Lebens fernhalten könnte. Denn Emily stellte eine Gefahr für das dar, was er sich mit viel Kraft aufgebaut hatte: ein ungestörtes, zurückgezogenes Leben.
„Du kannst ja kaum den Blick von ihr abwenden“, hörte Luca plötzlich Pascal leise sagen und zuckte zusammen. „Du findest sie wunderschön, stimmt’s?“
„Ich finde sie frustrierend“, erwiderte Luca. Und nicht nur Emily, sondern die heftige, unstillbare Anziehung, die sie unbestreitbar auf ihn ausübte und über die er keine Kontrolle hatte.
Er sah Pascal an, dessen freundliche braune Augen tiefes Verständnis und auch einen Hauch von Traurigkeit ausdrückten – braune Augen, die Luca so vertraut waren und die er doch einen Moment lang vergessen hatte. Verzweiflung und Schuldgefühle erfüllten ihn. Schnell wandte er den Blick ab. Er hatte einmal versucht, ein ganz ähnliches Augenpaar glücklich zu machen, und einige wunderbare Momente lang war ihm das auch gelungen. Doch dann war alles weg gewesen. Und so würde es auch bleiben.
„Es tut mir leid, Pascal.“ Die Vergangenheit tat ihm leid und der heutige Abend und sein Scheitern bei beidem. Luca stand auf, um das Gespräch zu beenden, bevor es richtig beginnen konnte. „Lass uns auf den Balkon gehen, wo ich mich besser konzentrieren kann.“
Sie würden sich über geschäftliche Dinge unterhalten und Persönliches aussparen, sodass Luca versuchen konnte, wieder die Augen vor der Wahrheit zu verschließen. Aber er befürchtete, dass es bereits zu spät war: Er hatte keinen Einfluss darauf, wie nahe ihm Emily ging, und er hatte es auch nicht verbergen können. Jetzt wurde er nur noch von stetig zunehmenden Schuldgefühlen geplagt.
Pascal und Francine blieben nicht allzu lang, da Pascal am nächsten Morgen noch viel Geschäftliches zu erledigen hatte, bevor er zurück nach Paris fliegen würde. Die letzte halbe Stunde hatte Emily nur zugehört, nachdem Luca sich wieder am Gespräch zu beteiligen begonnen hatte und mit den Gästen über Geld und Märkte sprach – über Dinge, von denen sie keine Ahnung hatte.
Als Luca später Francine in den Mantel half, stand Pascal plötzlich dicht neben Emily und sagte leise, aber eindringlich: „Lassen Sie nicht zu, dass er Ihr Feuer löscht. Denn Sie tauen ihn mit Ihrer
Weitere Kostenlose Bücher