Eine Nacht und tausend Geheimnisse
eigenen Probleme zu analysieren und zu lösen. Da wandten sie sich immer an Paige, die sie im Beziehungsdschungel begleiten, sie trösten und aufrichten musste, wenn wieder einmal etwas schiefgegangen war. Warum ausgerechnet Paige, die lediglich eine einzige ernsthafte Beziehung gehabt hatte, als Expertin in Liebesdingen galt, war ihr selbst ein Rätsel. Wahrscheinlich weil sie mit David länger befreundet gewesen war, als alle Beziehungen der Schwestern zusammengenommen gedauert hatten. Aber was hatte ihr das genützt? David hatte sie trotzdem verlassen.
Und auch jetzt hatte sie noch keine neue Beziehung vorzuweisen, obgleich sie schon seit über einem Jahr in dieser großen Stadt lebte. Das war auch einer der Gründe, weshalb sie die eine Woche Urlaub, die sie im Sommer nehmen konnte, nicht zu Hause verbringen wollte. Sie sah die Schwestern geradezu vor sich, wie sie sie bemitleideten. Sie ist immer noch allein, die Arme. Ob sie wohl jemals über David hinwegkommt? Nein, das würde sie nicht aushalten. Entschlossen griff sie nach dem Stapel Telefonnotizen und begann ihren Rundgang, während sie die rosa Papiere durchblätterte. Als sie auf einem der Zettel lediglich eine Telefonnummer fand, blieb sie überrascht stehen. Wessen Nummer mochte das sein? Neugierig zog sie ihr Handy aus der Tasche und tippte die Nummer ein. Nachdem es zweimal geklingelt hatte, nahm jemand das Gespräch an. Im Hintergrund waren Stimmen zu hören.
„Trent Hightower.“
Beim Klang seines tiefern Baritons fing ihr Puls augenblicklich an zu rasen. „Ich … äh … ich bin es, Paige. Du wolltest mich sprechen?“
„Ja. Wann bist du heute fertig?“
„Um sechs.“
„Ich treffe dich vor dem Hotel. Wir fahren ins Buffalo Bill.“
Ins Buffalo Bill? Das Hotel lag fünfundzwanzig Meilen von Las Vegas entfernt. „Aber Trent, ich muss erst nach Hause fahren und mich umziehen.“
„Gut, dann fahren wir erst bei dir vorbei.“
„Und mein Wagen? Den kann ich nicht hier lassen. Ich brauche ihn doch morgen früh wieder.“
„Ich fahre hinter dir her.“
„Aber …“
„Bis heute Abend dann.“
Er hatte aufgelegt. Das war nicht gut. Wenn er auf sie wartete, hatte sie nicht genug Zeit, sich für ihre Rolle als unwiderstehliche Verführerin zurechtzumachen. Und das war unbedingt nötig, denn diesmal musste es klappen. Im letzten Jahr hatte sie eigentlich überhaupt nichts für ihn empfunden, und trotzdem hatte sie seine Zurückweisung schwer getroffen. Da sie diesmal schon von dem Kuss vollkommen verwirrt war, mochte sie sich nicht ausmalen, wie sehr sie unter einer erneuten Demütigung leiden würde.
Auch Trent hatte in der letzten Nacht nicht besonders gut geschlafen. Weil er sich eine neue Strategie einfallen lassen musste, wie er sich einzureden versuchte. Am ehesten würde er Paiges Schwachstelle herausfinden können, wenn er sah, wie sie wohnte. Deshalb die Idee, sie zu Hause vorbeizubringen. Aus der Art und Weise, wie sie jetzt verlegen neben ihm in ihrem Wohnzimmer stand und an dem Henkel ihrer Tasche herumnestelte, schloss er, dass sie nicht mit Brent hier gewesen war. „Paige, willst du dich nicht umziehen? Wir müssen uns beeilen.“
„Ach so … ja … das sollte ich wohl tun.“
Offenbar war es ihr nicht angenehm, ihn hier in ihren vier Wänden allein zu lassen. Männerbesuch schien sie nicht gewohnt zu sein. Langsam drehte sie sich um, ging den kurzen Flur hinunter und öffnete eine Tür. Über ihre Schulter hinweg konnte er etwas in Dunkellila erkennen. Das war zweifellos die Bettdecke. Auf ihrem Bett. Ein unmissverständlicher Drang er fasste ihn, und schnell wandte er den Blick ab. Schließlich ging es ihn nichts an, wo und wie Paige schlief. Allerdings hätte er nicht geglaubt, dass sie in lila Wäsche schlief. Ihr blondes Haar auf dem Kissen, der Kontrast zwischen ihrer hellen Haut und dem dunklen Laken … Schluss damit! Er sollte sich lieber im Zimmer umsehen, deshalb war er schließlich hergekommen. Vielleicht fiel ihm etwas Besonderes auf. Eigentlich war Paige ganz normal eingerichtet. Mit einer Ausnahme. Sie hatte überall Fotos stehen. Auf dem Sideboard war offenbar die ganze Familie versammelt. Auf dem einen Bild war ein älteres Paar vor einem Laden zu sehen. „McCauleys Eisenwarenladen“ stand auf einem großen Schild. Das mussten ihre Eltern sein. Von dem Vater schien Paige das blonde Haar und die braunen Augen geerbt zu haben, von der Mutter die gute Figur.
Auf einem anderen Bild waren fünf
Weitere Kostenlose Bücher