Eine Nacht wie Samt und Seide
seinen Teller. »Northampton. Stokes ist mit mir gekommen. Als wir dort eintrafen, war es dieselbe Geschichte. Jemand anders hatte das Haus über einen Mittelsmann von Mr Gilbert Martin gemietet. Daher haben wir auch diesen Agenten ausfindig gemacht und sind weiter nach Liverpool gereist. «
Dillon schwieg, während Barnaby aß.
»Nach Liverpool war es Edinburgh, York, Carlisle, Bath, dann Glasgow.« Barnaby runzelte die Stirn. »Ich habe vielleicht eine oder zwei Städte ausgelassen, aber die letzte war Bristol. Dort haben wir endlich Mr Gilbert Martin zur Strecke gebracht, wenn auch vollkommen zufällig, durch einen gemeinsamen Bekannten in der Stadt.«
Barnaby schaute Dillon in die Augen. »Mr Gilbert Martin ist dreiundsiebzig Jahre alt, hat keinen Sohn, kennt keinen anderen Gilbert Martin, und obwohl ihm das Haus am Connaught Place gehört und er es über jenen ersten Mittelsmann vermietet, hat Mr Martin nicht den blassesten Schimmer von seinen anderen Adressen.«
Barnaby machte eine Pause, fügte dann hinzu: »Die Einnahmen aus der Vermietung des Hauses in London werden auf ein Konto in der Stadt verbucht, wovon Mr Martin lebt. Es hat keinerlei Veränderungen gegeben, daher hatte er keine Ahnung, was vor sich geht.«
Dillons Stirnrunzeln verstärkte sich. »Also haben wir keine Ahnung, wer dieser andere Mr Gilbert Martin ist?«
»Außer dass er verteufelt gewieft ist? Nein, keine.«
Nach einem Augenblick fuhr Barnaby fort: »Während unserer Reisen hatten Stokes und ich ausreichend Zeit, verschiedenen Szenarien nachzugehen. Nachdem wir begriffen hatten, wie sehr wir uns auf dem Holzweg befunden hatten - auf den Mr X uns gelockt hatte und der mehr oder weniger gewährleistet, dass selbst die einflussreichsten Köpfe der Unterwelt ihn niemals aufspüren können, wurde uns klar, in welcher Gefahr ganz besonders du jetzt schwebst.«
Er schaute Dillon an. »Wenn Mr X sich zur Rache entschließt, werden wir absolut keine Idee haben, aus welcher Richtung wir mit einem Schlag rechnen müssen.«
Leidenschaftslos nickte Dillon. »Vielleicht gibt es gar keinen Schlag, keinen Racheakt. Ich kann kaum durchs Leben gehen und ständig damit rechnen. Mr X muss finanzielle Verluste erlitten haben, und zwar keine unerheblichen. Vielleicht ist er schon außer Landes geflohen?«
»Das mag sein, aber ...« Barnaby erwiderte Dillons Blick. »Es fühlt sich einfach nicht richtig an. Er hat all die Mühe auf sich genommen, um seine wahre Identität zu verschleiern - wie stehen da die Chancen, dass er einer von uns ist, ein Mitglied der guten Gesellschaft?«
»Gabriel sucht weiter, aber bis gestern Abend hat er keine Spur gefunden, nicht den Hauch irgendeines Hinweises.«
»Und wenn schon. Mr X ist ein Meister darin, seine Spuren zu verwischen. Er könnte der Gentleman direkt neben dir sein, wenn du das nächste Mal deinen Club betrittst, oder auf dem nächsten Ball, an dem du teilnimmst. Ich nehme nicht an, dass du daran denkst, nach Newmarket zurückzukehren, oder?«
»Nein.«
Barnaby seufzte. »Das habe ich Stokes schon gesagt, aber wie ich ist er davon überzeugt, dass Mr X wenigstens versuchen wird, dir deine Einmischung heimzuzahlen, selbst wenn er dann danach nach Übersee fliehen muss. Das plant er wahrscheinlich ohnehin, daher wird es sicherlich gut in seine Pläne passen, dich vorher zu töten.«
Dillon konnte nicht anders, er musste lächeln. »Versuchst du etwa, mir Angst einzujagen?«
»Ja. Funktioniert es?«
»Nicht ganz so, wie du es dir vorgestellt hast, aber ... ich habe eine Idee. Da ihr beide so felsenfest davon überzeugt seid, dass Mr X mir etwas antun will, bedeutet das doch, dass wir eine Gelegenheit erhalten werden - vermutlich unsere letzte Gelegenheit -, seiner habhaft zu werden.«
Barnaby blinzelte. »Du meinst, du willst dich als Köder anbieten?«
Dillon hob die Brauen. »Wenn ich das einzige Lockmittel bin, wie wir alle glauben, warum nicht?«
Er ging um elf zu Pris, nötigte sie, sich ihre Pelisse anzuziehen, und fuhr dann mit ihr zu dem Ort, den er ausgewählt hatte.
Als er sie durch die Tür und ins Kirchenschiff führte, schaute sie sich um und drehte sich zu ihm, um flüsternd zu fragen: »Warum sind wir hier?«
Um sie herum herrschte die friedvolle Stille von St. Paul’s Cathedral. »Weil«, flüsterte er zurück und zog ihren Arm unter seinen, »ich zu einem Ort wollte, an dem wir zwar allein sind, aber nicht Gefahr laufen, uns gegenseitig abzulenken. Wir müssen miteinander
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