Eine Nacht zum Sterben
benutzen. Ich habe es am Flughafen in Hurn abgestellt und bin mit einem Taxi weitergefahren. Auf die Weise bin ich eher in Fixby gewesen als du. Es gibt da eine Kneipe, wo man ein sehr gutes Helles vom Faß trinken kann.«
»Und dann?«
»Oh, dann habe ich mich im Hafen hinter einem Wrack versteckt und der Dinge geharrt, die da kommen sollten, wie man so sagt. Ich habe dein Gespräch mit Gorman belauscht, gewartet, bis du mit ihm in sein Büro gegangen bist, und dann bin ich an Bord gegangen und habe mich in dem Schrank mit den Ketten versteckt.«
»Du hast dir verdammt lange Zeit gelassen, bis du dann aufgetaucht bist, oder war das deine persönliche Vorliebe fürs Dramatische?«
»Ich bin ganz einfach eingeschlafen. Und aufgewacht bin ich erst wieder, als Gorman soviel Lärm machte.«
Chavasse seufzte. »Na gut, und was machst du jetzt hier?«
»Ganz einfach. Mein Bruder ist ein waschechter Krimineller gewesen. Er hat gestohlen, und er war ein Gangster, aber zu mir ist er immer gut gewesen. Wenn ich sage: Ich habe diesen Mann geliebt, kannst du das verstehen?«
»Vollkommen«, sagte Chavasse ernst.
»Er hat diesen Tod nicht verdient, Paul. Er hat manches andere verdient, aber das nicht. Wenn der richtige Augenblick gekommen ist, werde ich Leonard Rossiter umbringen. Wir Jamaikaner sind ein religiöses Volk, wir sind stolze Menschen. Auge um Auge heißt es in der Bibel, und wir glauben daran. Ich will Rossiters Leben, denn nur das ist gerecht.«
Chavasse nickte. »Ich habe Respekt vor deinen Gefühlen, und ich verstehe dich auch, aber zwischen dem Gedanken und der Ausführung ist es oft ein großer Unterschied; besonders für einen Mann wie dich. Ich kann töten, wenn ich töten muß. Ich töte schnell, fachmännisch – ohne darüber nachzudenken; ich bin Profi. Glaubst du, du könntest das auch?«
»Wir werden sehen.«
»Gut. Ich bringe jetzt das Boot wieder in Gang, und du mußt dir erst einmal trockene Kleidung anziehen. Nachher sehen wir weiter.«
Preston nickte und ging hinunter in die Kabine. Chavasse ging ins Steuerhaus und startete die Maschine. Der Motor gab ein kräftiges röhrendes Geräusch von sich. Chavasse drückte den Gashebel, und die Mary Grant kam schnell auf volle Fahrt.
»Ich wollte eigentlich Boxer werden«, sagte Darcy.
Er stand gegen die Tür des Steuerhauses gelehnt; um die Schultern hatte er eine Decke geschlagen. Er trank Tee aus einem Becher.
»Was hat Harvey dazu gesagt?«
Darcy lachte. »Er argumentierte immer nur mit Tantiemen und Provisionen. Er meinte, nur ein Mann, dem es dreckig geht, sei ein guter Kämpf er; und mir ging es eben nicht dreckig. Aber bis zu einem gewissen Grad hat er mich doch ermutigt und unterstützt. Er hat dafür gesorgt, daß mir ein paar der besten Profis Stunden gegeben haben. Er war nämlich Teilhaber an einer Sporthalle in Whitechapel.«
»Und wie bist du dann auf die Juristerei gekommen?«
»Bei dem Milieu, aus dem ich kam?« Preston lachte wieder. »Das haben mich damals viele Leute gefragt. Auf der anderen Seite habe ich jeden kleinen Gauner in Soho gekannt, und das war sehr nützlich, als ich anfing zu praktizieren.«
»Du hattest wahrscheinlich laufend zu tun?«
»Genau. Aber als Harvey dann seine Verhandlung hatte, bin ich aus London weggegangen. Das Doppelleben, das ich damals geführt habe, konnte auf die Dauer nicht gutgehen. Ich habe mich in Jamaika niedergelassen und einen neuen Anfang gemacht. Ich hatte Erfolg. Da habe ich auch meine Frau kennengelernt.«
»Wie das im Leben so geht«, sagte Chavasse.
»Ich habe deinem Mr. Mallory schon erzählt, daß mir Harvey dann einen Brief geschrieben hat, in dem er schilderte, was er vorhatte. Als er dann nicht mehr auftauchte, haben mich Freunde benachrichtigt; und ich habe mich dann entschlossen, seiner Spur nachzugehen. Das kam mir ganz selbstverständlich vor.«
»Weiß deine Frau davon?«
Darcy grinste. »Sie meint, ich hätte beruflich in New York zu tun.« Er trank seinen Tee aus und stellte den Becher auf den Kartentisch. »Und wie ist das bei dir gewesen? Wie bist du zu diesem Beruf gekommen?«
»Wie das eben im Leben so geht«, sagte Chavasse und hob die Schultern. »Ich habe einen Fremdsprachentick. Ich sauge Sprachen in mich auf, wie ein Schwamm Wasser aufsaugt. Es macht mir überhaupt keine Mühe. Ich hatte eine Dozentenstelle an einer Universität in der Provinz und bin fast gestorben vor Langeweile. Da hat mich ein Freund gebeten, mit ihm zusammen seine
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