Eine skandalöse Braut
Ich vermute jetzt, dass auch meine Großmutter einen anonymen Brief bekommen hat, weil sie mir erzählte, ihr sei kürzlich erst bekannt geworden, dass dieser Schlüssel, für den ich über die Dächer geschlittert und in das Haus eines anderen Manns eingedrungen bin, sich in Hathaways Besitz befindet.«
»Ah! Dann reden wir hier von den Geistern, die in der Vergangenheit deiner Familie lauern.«
»Ich wünschte, es wäre anders. Aber ja, so ist es.«
»Erzähl mir mehr.«
Alex erzählte ihm bereitwillig vom Tonfall des Briefs, den er gelesen hatte. Es war ihm so vorgekommen, als sei die Leidenschaft zwischen seiner Großtante und Amelias Großvater nicht bloß einseitiger Natur gewesen.
Hathaway hatte die junge Frau offenbar verzaubert und sie ihn.
Der Klub war zu dieser Zeit des Tages nur wenig besucht. Die Gentlemen waren entweder bei den Vergnügungen, die ihre Frauen ihnen aufdrückten, oder nahmen ein spätes Dinner ein und tranken. Das leise Summen von Dutzenden Gesprächen erfüllte die Luft, der Geruch nach Tabak und alkoholischen Getränken hing angenehm schwer in der Luft. Luke saß in seinem Abendanzug still da, sein Gesichtsausdruck war eine nachdenkliche Maske. Alex wartete. Er war in seine eigenen Gedanken vertieft und nippte nur gelegentlich am Brandy.
Endlich brach Luke sein Schweigen. »Wie starb deine Großtante?«
Eine gute Frage. »Mir hat man erzählt, sie sei ertrunken. Es war vermutlich ein Unfall, aber ich habe einige ältere Diener gefragt, die andeuteten, es hätte auch Selbsttötung sein können. Anschließend tötete mein Großvater den Earl im Duell.«
»Ich verstehe.« Luke runzelte die Stirn. »Ich finde, das kann ihm keiner verdenken, schließlich wurde seine Schwester erst ruiniert, ehe er sie auch noch verlor. Sie war jung, sagst du?«
»Meine Großmutter informierte mich nur äußerst vage, fürchte ich. Deshalb kann ich nur vermuten, dass sie wohl etwa in Amelias Alter war. Neunzehn.« Alex rutschte in seinem Sessel etwas tiefer. Er richtete den Blick auf sein Glas, ohne es tatsächlich zu sehen. »Ich bin schon zu dem Schluss gekommen, dass es in dieser Affäre noch andere Beteiligte geben muss. Denn irgendwer hat diesen Brief geschickt. Die ganze Angelegenheit ist noch komplizierter, als sie auf den ersten Blick zu sein scheint. Irgendwelche Ideen?«
»Mein Instinkt flüstert mir ein, die Person, die diesen Brief weitergeleitet hat, muss ein düsteres Motiv für ihr Handeln haben. Es wurde kein Geld erpresst, was mich überrascht, wie ich ehrlich zugebe. Es sei denn, die Person ist schon an deine Großmutter herangetreten. Wenn es um Erpressung geht, würde es mich sehr interessieren, warum man Lady Amelia kontaktiert hat. Eine junge Frau in ihrem Alter hat doch wohl nur wenig Geld zur eigenen Verfügung. Ich verstehe nicht, wie unser Freund davon profitieren könnte, sie mit diesem alten Drama zu belasten.«
»Ehrlich gesagt ist diese Angelegenheit mehr geeignet, meine Familie in Verlegenheit zu stürzen denn ihre«, murmelte Alex. »Deshalb bin ich ja so verwirrt. Auch wenn ihr Großvater sich höchst unehrenhaft verhalten hat, war meine Großtante diejenige, die erst ruiniert wurde und anschließend starb. Ich kann verstehen, warum die damaligen Ereignisse meine Großmutter noch heute plagen. Mein Vater war auch nicht erfreut, als das Thema wieder aufkam. Aber die Hauptakteure der damaligen Ereignisse sind tot.«
»Die Frage, die sich uns stellt, ist doch: Auf wen zielen diese Briefe ab, was ist der Zweck der ganzen Aktion? Wir sollten uns auch fragen, warum deine Großmutter sich solche Sorgen macht, Hathaway könne diesen schwer fassbaren Schlüssel benutzen.«
»Das ist wirklich eine gute Frage.« Alex dachte an Amelias ernüchterte Miene vorhin. Sie war offenbar über die Umstände des alten Skandals ehrlich entsetzt. Vielleicht hätte er ihr die Details nicht darlegen dürfen. Andererseits musste ihr doch irgendjemand sagen, was sich damals zugetragen hatte.
»Ich bin neugierig«, sagte Luke, und in seiner Stimme schwang etwas Mutmaßendes mit, »ob deine hübsche Amelia wohl noch mehr Fragmente des Briefwechsels bekommt.«
»Sie ist nicht meine Amelia.« Alex gab dem Kellner ein Zeichen, ihm noch ein Glas Brandy zu bringen.
»Ist sie nicht?« Lukes Miene blieb ausdruckslos. »Wenn eine Lady, die in Schwierigkeiten steckt, nach einem Mann schickt, von dem sie sich Rettung erhofft, und dieser augenblicklich die für den Abend gefassten Pläne verschiebt
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