Eine tödliche Erinnerung (German Edition)
lachend, "ich muss jetzt ganz, ganz dringend malen."
14.
Zu Beginn der nächsten Stunde zeigte mir Melissa das Bild, das sie so dringend malen musste. Es hatte die Winterszene im Park zum Inhalt und es zeigte, dass Melissa tatsächlich eine sehr begabte Malerin war.
Das Bild wirkte hell und luftig, wie von lockerer Hand leicht hingeworfen. Doch sah man genau hin, waren die Details sehr präzise ausgeführt. Die Personen wirkten so lebendig und individuell, dass man sie bei einer zufälligen Begegnung wiedererkannt hätte. Man sah eine elfenhaft zarte, anmutige Frau, unter deren weißer Pelzkappe langes, dunkelbraunes Haar hervorlugte. Sie beugte sich lächelnd zu dem Kind auf dem Schlitten herab. Neben ihr stand ein großer, schlanker Mann, dessen wirres, blondes Haar seinen Kopf wie ein Heiligenschein umrahmte. Er lachte aus vollem Halse und wirkte sehr glücklich. Lediglich das Gesicht des Kindes war nicht zu erkennen. Das kleine Mädchen hielt den Kopf gebeugt und seine langen Locken fielen nach vorn und verdeckten es teilweise.
Dies sollte das erste einer ganzen Serie von Bildern sein, die Melissa immer im Anschluss an unsere Hypnosesitzungen malte. "Mein Familienalbum", nannte sie die Bilder. Melissa besaß kein einziges Foto ihrer Eltern, was diese selbst gemalten Bilder für sie so wertvoll machte.
In unserer zweiten Sitzung führte ich Melissa in ihr Elternhaus. Wieder leitete ich die Trance mit einer Geschichte ein.
"Sie leben in uns weiter, die Räume unserer Kindheit", begann ich. "Da sind die Böden, auf denen wir so gern unsere Spielsachen ausbreiteten, da ist der große Schrank, in dem immer die Süßigkeiten lagen. Wir erinnern uns, wie es roch, wenn am Wochenende Kuchen gebacken oder wenn im Dezember der Weihnachtsbaum aufgestellt wurde. Fasziniert haben wir beobachtet, wie das Pendel der großen Uhr vor unseren Augen hin und her schwang." Wieder kam mein Pendel nur kurz zum Einsatz, Melissa sank mühelos in eine tiefe Trance. Nachdem ich sie erneut in ihre Kindheit zurück versetzt hatte, erteilte ich ihr weitere Instruktionen.
"Betritt nun das Haus deiner Kindheit und erzähle mir davon", forderte ich sie auf.
Das Haus, das Melissa vor sich sah, wirkte alt und modern zugleich. Sie beschrieb mir einen Fachwerkbau mit einem Hirschgeweih am Giebel, redete aber auch von großen Glasflächen. Durch eine schwere, dunkle Tür gelangte sie in lichtdurchflutete Räume mit weißen Wänden und hellen Holzfußböden. Ein Konzertflügel stand vor einem der Fenster und auf einmal war leise Klaviermusik zu hören. Melissa sagte, dass es ihre Mutter sei, die da spielte.
"Sie spielt sehr schön, aber sie weint dabei. Ich mag nicht, wenn sie weint, weil ich dann auch traurig bin." Melissas Stimme klang bekümmert. Sie schien unschlüssig, was sie nun tun sollte. Doch dann nahm sie mich mit in ihr Kinderzimmer, das in hellem Lindgrün gehalten war und beschrieb mir die schöne alte Truhe, in der sie ihre Spielsachen aufbewahrte. Anschließend betraten wir einen verglasten Gang, der das Wohnhaus mit einem Atelier verband. Hier roch es intensiv nach Farbe und überall standen und lagen Bilder. Melissas Vater stand an einer Staffelei und arbeitete an einem Bild. Er gab Melissa Pinsel und Farben, damit sie ebenfalls malen konnte. Wieder war Melissa in der Situation sehr glücklich und wieder musste ich erst die Trance vertiefen, bevor ich sie zurückholen konnte.
Im Auswertungsgespräch erklärte mir Melissa, was sie noch gewusst hatte und was neu für sie gewesen war.
"Ich wusste, dass es da ein Atelier gegeben hat und dass mein Vater gemalt haben muss. Als ich im Internat mit dem Malen anfing und den Geruch der Farben um mich hatte, da war die Erinnerung plötzlich da gewesen. Aber ich wusste nicht mehr, dass dieses Atelier mit unserem Wohnhaus verbunden war. Das war unser Haus, das ich da gesehen habe, Iris. Es gab auch diesen verglasten Gang, ich erinnere ich jetzt genau. Das ist so faszinierend. Meine Erinnerungen sind wie ein Kaleidoskop, du weißt schon, diese verspiegelte Röhre, in der sich einzelne Glassplitter und Perlen befinden. Wenn man das Ding dreht, setzen sie sich zu einem Bild zusammen. Bei mir waren nur ganz wenige Splitter drin, sie ergaben nie ein richtiges Bild. Aber mit jedem Termin bei dir kommen weitere hinzu, und plötzlich setzt sich alles ganz neu zusammen und ergibt einen Sinn."
Melissas Begeisterung sollte über viele Sitzungen anhalten. Immer neue Puzzleteile fügte sie ihrer
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