Eine unbeliebte Frau
Bodenstein und hoffte verzweifelt, dass die Frau des Reitlehrers so klug sein würde, ihn nicht zu erschießen. Wie hatte er nur in eine solche Situation geraten können?
»Halt die Klappe!«, knurrte der Pferdepfleger und klebte ihm kurzerhand einen Streifen Paketband über den Mund. Da er mit dem Gesicht zur Wand auf dem Stuhl saß, konnte er nur hören, was sich hinter seinem Rücken abspielte.
»Beeil dich«, hörte er die Stimme von Frau Kampmann, »wir müssen hier endlich weg, bevor einer auftaucht!«
»Hast du alles fertig?«, erwiderte Karol.
» Ja ja . .. «
Das war das Letzte, was Bodenstein hörte, denn ein unerwarteter Schlag traf ihn so heftig auf den Hinterkopf, dass er nur noch Sternchen sah und das Bewusstsein verlor.
Wie durch einen Nebel hörte Bodenstein eine Stimme. Als er die Augen aufschlug, blickte er in das besorgte Gesicht einer ältlichen Frau. Er sah alles doppelt und brauchte ein paar Sekunden, um sich daran zu erinnern, wo er überhaupt war.
»Können Sie mich hören?« Die Frau war aufgeregt und durcheinander. »O mein Gott, wie entsetzlich, das alles. Was soll ich denn bloß machen?«
Bodenstein rollte mit den Augen und hoffte, dass die Frau so schlau sein würde, ihn zu befreien. Mit hysterischem Gegacker entfernte sie das Klebeband von seinem Mund, washöllisch weh tat, dann schnitt sie mit einer Schere die Fesseln an seinen Hand- und Fußgelenken durch.
»Vielen Dank«, Bodenstein holte erst einmal tief Luft und rieb benommen seine Handgelenke. Wie lange hatte er hier ohnmächtig gesessen? Vor den Fenstern war es schon fast dunkel.
»Was geht denn nur hier vor?« Die Stimme der Frau war unangenehm schrill. »Und was ist mit meinem Pferd?«
Bodenstein erinnerte sich, dass er die rundliche Frau heute schon einmal gesehen hatte. Ihr gehörte das Pferd, auf dem Kampmann geflüchtet war.
»Ihr Pferd ist in der Pferdeklinik in Ruppertshain«, sagte er und erhob sich. »Wissen Sie, wie viel Uhr es ist?«
»Gleich halb neun«, erwiderte die Frau vorwurfsvoll. »Ich bin ganz allein auf dem Hof. Hier ist ja gestern der halbe Stall ausgezogen. Ich weiß gar nicht, was los ist.«
»Haben Sie Frau Kampmann gesehen?«
»Nein«, die Frau schüttelte den Kopf, »aber ihr Auto ist nicht da. Wahrscheinlich ist sie wieder mal einkaufen.«
Mit unsicheren Schritten schleppte Bodenstein sich zum Schreibtisch. Sein Kopf dröhnte, alles drehte sich vor seinen Augen. Er tastete nach seinem Handy und musste feststellen, dass es nicht mehr da war. Mit einem Fluch ließ er sich auf den Stuhl sinken. Das Bargeld, das auf dem Schreibtisch gelegen hatte, war verschwunden, der Tresor, der sich in der Wand zwischen den Regalen befand, stand sperrangelweit offen und war leer. Frau Kampmann und Karol hatten gründlichen Kassensturz gemacht und waren wahrscheinlich bereits über alle Berge.
»Ist das hier Ihr Handy?«
Er blickte auf.
»Das lag im Hof«, die Frau reichte ihm das Mobiltelefon. Bodenstein bedankte sich. Das Telefon hatte zwar einenSprung im Display, aber es funktionierte noch. Er tippte die Nummer von Pia ein, doch es meldete sich nur ihre Mailbox. Kein Wunder, in Krankenhäusern hatten Mobiltelefone keinen Empfang.
»Was soll ich denn jetzt machen?«, fragte die Frau.
»Fahren Sie zu Ihrem Pferd«, schlug Bodenstein vor und stand auf. Eigentlich sehnte er sich nur noch nach einem heißen Bad und seinem Bett, aber vorher musste er dringend mit Kampmann sprechen. Er verließ das Haus und ging zu seinem BMW, um über Funk die Fahndung nach Frau Kampmann und Pferdepfleger Karol, die offenbar zu allem entschlossen und nun auch zu allem Unglück noch bewaffnet waren, einzuleiten.
Robert Kampmann lag benommen und bleich im Bett in einem Einzelzimmer. Man hatte ihm den Arm eingegipst und die Platzwunde am Kopf genäht. Ein Polizeibeamter saß auf dem Flur vor der Zimmertür.
»Ihre Frau hat mir ein paar interessante Sachen erzählt«, sagte Bodenstein, der sich kaum besser fühlte als der Mann, der vor ihm im Bett lag. »Sie sollten allmählich mit der Wahrheit herausrücken.«
Kampmann starrte ihn aus blutunterlaufenen Augen an.
»Kommen Sie schon, Kampmann«, Pia verzichtete auf eine förmliche Anrede. »Wir wissen, dass Sie am Abend des 27. August nicht zu Hause waren. Ihre Frau hat uns erzählt, dass Sie gemeinsam mit Marianne Jagoda Isabel Kerstner getötet haben.«
Der Reitlehrer holte tief Luft, seine aufgesprungenen Lippen zitterten. Mit dem ramponierten Gesicht, dem
Weitere Kostenlose Bücher