Eine Witwe ohne Tränen
und Kinn herum verschmierten Lippenstift und die Bluse, die bis zu
ihrer Taille herab aufgerissen war und die prachtvollen Konturen ihrer Brüste
enthüllte, die nur eben knapp von einem weißen Spitzenbüstenhalter umschlossen
wurden.
»Marvin«,
sagte sie mit gebrochener Stimme, »er — er hat mich überfallen.«
»Halt!«
schrie ich. »Das ist ja eine...«
Zu
spät fiel mir ein, daß Marvin durch und durch ein Mann der Tat war. Seine Faust
fuhr in meinen Solarplexus, so daß ich zusammenklappte wie ein windiges Buch,
das zu lesen ihm mißfiel. Dann hämmerten seine Fäuste in meinen Nacken, und ich
fiel der Länge nach auf den Boden, gerade rechtzeitig, um seinen Stiefel
zwischen die Rippen zu kriegen. Ich rollte über den Boden, bis ich durch die
Couch mit einer Art Knirschen zu plötzlichem Stillstand kam. Von irgendwoher
aus der Nebelwolke vor meinen Augen hörte ich eine sanfte gutturale Stimme sagen:
»Vergessen Sie’s nicht, Süßer — unternehmen Sie nichts, bevor Sie nicht von mir
gehört haben.«
Dieser
Marvin war einfach unersättlich. Gleich darauf rammte er seinen Stiefel gegen
meine Schläfe, und alles versank schlagartig in tiefe Dunkelheit. Aber es war
gänzlich meine eigene Schuld; ich hätte heute früh von vornherein gar nicht
erst aufstehen sollen.
FÜNFTES KAPITEL
D ie in meinen Nacken scheinende Morgensonne
trug dazu bei, die Steifheit ein wenig zu lockern, und ich fühlte mich, abgesehen
von der Beule an meiner Schläfe, zwei empfindlichen Rippen und einem
Durcheinander von schmerzenden Magenmuskeln, ganz großartig. Eines Tages, so
überlegte ich, würde ich mit Marvin Lucas abrechnen und ihn — möglichst, wenn
er gerade nicht aufpaßte — so zusammenwichsen, daß nur ein Liliputaner
übrigblieb. Ich drückte erneut auf den Klingelknopf und zündete mir dann, um
die Wartezeit unterhaltsamer zu gestalten, eine Zigarette an. Beim dritten
Klingeln öffnete sich die Tür, und ein großes, mageres Individuum, so um die
Vierzig herum, blickte mich mit schmerzlichem Ausdruck in den Augen an.
»Der
Teufel soll Sie holen!« sagte er mit gleichmütiger Stimme. »Ich habe gerade
gearbeitet.«
»Die
Welt ist klein«, sagte ich und grinste ihn an. »Ich arbeite auch gerade. Sind
Sie Lester Fosse ?«
Er
nickte. »Wer, zum Kuckuck, sind Sie?«
»Rick
Holman.« Ich sah zu, wie seine Augen zu Eis erstarrten. »Sie waren nicht schwer
zu finden. Ich hatte eine plötzliche Eingebung und habe im Telefonbuch
nachgesehen.«
»Ich
habe Ihnen gestern abend schon gesagt, daß ich mich
nicht über Gail unterhalten möchte«, sagte er in eisigem Ton.
»Es
gibt gewisse Gedankengänge, denen zufolge sie möglicherweise keinen Selbstmord
begangen hat — sondern ermordet wurde«, sagte ich im Konversationston.
»Gewissen Gedankengängen zufolge sind Sie angeblich nur so oft in ihrem Haus
gewesen, weil Sie ein alter Freund Lloyd Carlyles waren und nicht — wie
andernorts behauptet wird — Gails Liebhaber.«
Er
blinzelte ein wenig, und seine Kinnbacken traten hervor. »Na gut, vermutlich
kommen Sie besser herein.«
Ich
folgte ihm in das kleine Haus und in einen Raum, in dem sich Buch an Buch
reihte und in dem ein Schreibtisch mit einer Schreibmaschine stand. Der
Aschenbecher quoll von Zigarettenstummeln über, Papiere lagen sowohl auf dem
Schreibtisch als auch auf dem Boden. Eine schmutzige Tasse mit getrockneten
Kaffeeflecken nahm den Ehrenplatz neben der Schreibmaschine ein. Fosse trug ein zerknittertes, am Hals offenstehendes Hemd
und noch zerknittertere Blue jeans .
Als ich sein Gesicht genauer betrachtete, konnte ich das dichte Netz von
Fältchen in den Augenwinkeln und die zwei Tage alten Bartstoppeln auf seinem
Kinn sehen.
»Es
sieht so aus, als ob Sie wirklich hart gearbeitet hätten«, sagte ich.
»Das
ist zufällig das neunundvierzigste Skript, das ich für halbstündige
Westernserien schreibe«, sagte er mit gepreßter Stimme. »Es wird allmählich ein
bißchen schwierig, noch einen originellen Einfall zu haben.« Er zündete sich
mit schnellen nervösen Bewegungen eine Zigarette an. »Na gut, Holman, was, zum
Teufel, soll das alles?«
»Ich
habe einen Auftraggeber, der glaubt, Gail Carlyle sei ermordet worden«, sagte
ich. »Ich versuche also nachzuweisen, daß das stimmt oder daß es nicht stimmt.
Was sich dabei herausstellt, kümmert mich nicht weiter, vorausgesetzt, daß ich
brauchbare Anhaltspunkte bekomme.«
Er
ging um den Schreibtisch herum, setzte sich auf den Stuhl und schob
Weitere Kostenlose Bücher