Eine Witwe ohne Tränen
mich mit ehrlich verblüfften Augen an. »Sie...« Ihre Stimme
versagte bei der Ungeheuerlichkeit der Vorstellung einen Augenblick lang. »Sie
wollen mich nicht?«
»Ich
will Sie«, knurrte ich und verpaßte ihr dann mit dem Handrücken eine Ohrfeige,
so daß sie rücklings in die weichen Kissen stürzte. »Und das ist dafür, daß Sie
mich dazu gebracht haben, Sie zu wollen«, sagte ich mit belegter Stimme und
versuchte, den triumphierenden Ausdruck in ihren Augen zu ignorieren, als ich
mich zu ihr auf die Couch gesellte. Etwa eine halbe Stunde später lag sie nach
wie vor auf der Couch, und Büstenhalter und Höschen waren wieder da, wohin sie
gehörten, obwohl Vivienne es schaffte, mit ihnen eher noch nackter zu wirken
als ohne sie. Sie trank einen Schluck Scotch und umfaßte dann behaglich das
Glas mit beiden Händen.
»Was
für ein Mann!« Sie lachte leise, hob dann eine Hand und streichelte ihre Wange.
»Hat es blaue Flecken gegeben?«
»Noch
nicht.« Ich goß mir vollends mein eigenes Glas voll, lehnte mich dann gegen die
Bar und sah sie an. »Wie steht es nun, genau besehen, zwischen uns beiden?«
»Das,
was gestern abend geschehen ist, tat mir schrecklich
leid.« Die rosige Zungenspitze fuhr flüchtig über die Unterlippe. »Ich hatte
offen gestanden nicht damit gerechnet, daß Marvin so wild werden würde. Ich
hatte ein gewisses Schuldgefühl, Holman. Aber wichtig ist, daß es nun, nachdem
wir uns beide gut kennen — intim -, keinen Grund mehr gibt, weshalb wir nicht
gute Freunde sein sollen. Oder?«
»Ich
finde, das klingt einfach grandios«, sagte ich voller Wärme. »Gute Freunde, die
einander vertrauen. Wo ist Justin Godfrey?«
Das
plötzliche Funkeln in ihren Augen hatte etwas entschieden Unfreundliches. »Ich
habe doch schon gesagt, wir können es uns nicht leisten, daß er mit diesem
Selbstmordbrief unter der Nase irgendeines Reporters herumfuchtelt. Aber Sie
wollten ja nicht hören, und so mußten wir ihn irgendwohin bringen, wo Sie ihn
nicht finden, Holman. Ich hatte gehofft, Sie würden das — jedenfalls jetzt —
einsehen.«
»Die
Swingeinlage auf der Couch war eine Wucht«, knurrte ich. »Aber sie hat nur
meiner Widerstandskraft zugesetzt, nicht meinem Verstand.«
Sie
trank ihr Glas aus, zog die Schuhe an, stand auf und griff nach ihrem Mantel,
der über einer Stuhllehne hing. »Sie haben mich also auf den Arm genommen.«
Ihre leicht heisere Stimme war von arktischer Kälte. »Nun ja, ich will nicht
behaupten, daß es keinen Spaß gemacht hat, solange es anhielt.«
»Wenn
Sie gelegentlich einmal die Wahrheit erzählten, so wären meine Empfindungen
Ihnen gegenüber wesentlich freundlicher«, sagte ich. » Gestern
abend sagten Sie übrigens, Lloyd Carlyle wäre ohnehin bald gestorben.«
»Krebs«,
sagte sie und nickte.
»Woher
wußten Sie das?«
»Lloyd
hat es mir selber erzählt.« Sie wandte sich mir zu, und ihre Finger waren damit
beschäftigt, den Mantel zuzuknöpfen. Ihre nachtblauen Augen glitzerten kalt.
»Hören Sie, ich habe auf jede Weise versucht, nett zu Ihnen zu sein, Holman,
aber es hat eben nicht geklappt. Also werde ich jetzt den Spieß umdrehen; und
Sie haben keine Ahnung, wie gemein ich sein kann, wenn ich es darauf anlege.«
Sie schlug den großen Mantelkragen hoch. »Würden Sie bitte Ihren Schlitten aus
der Zufahrt entfernen, damit ich heimfahren kann?«
Ich
begleitete sie hinaus zu dem schwarzen Statussymbol und hielt ihr die Tür auf.
Als sie hinter dem Lenkrad saß, schloß ich sie wieder und sagte: »Richten Sie
Marvin aus, ich erwartete ihn, wenn er das nächstemal zu Besuch kommt.«
»Das
wird kaum nötig sein.« Sie lächelte — sie lächelte wie eine Katze, die den Rahm
aufgeleckt hat. »Ich werde ihm einfach erzählen, daß ich Sie heute abend allein besucht habe, und auch, was dabei
passiert ist.« Ihre Hand berührte sachte ihre Wange. »Morgen früh werde ich
alle zum Beweis dafür nötigen blauen Flecken haben.«
Nachdem
sie verschwunden war, fuhr ich meinen eigenen Wagen in die Garage und kehrte
dann ins Haus zurück. Der Geruch ihres Parfüms lag noch immer im Wohnzimmer,
ihr mit Lippenstift verschmiertes Glas stand nach wie vor auf dem Tischchen,
und die Eindrücke in den weichen Kissen bildeten einen stummen Beweis für dieses
kurze Aufflackern einer Leidenschaft. Was war Vivienne Carlyle bloß für eine
Frau, grübelte ich dumpf. Der Akt der Liebe sollte eigentlich für die beiden
betroffenen Menschen etwas bedeuten, wenn vielleicht auch
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