Eine Wohnung mitten in der Stadt (German Edition)
Pause. „Aber vielleicht magst du ja mal ein paar Tage mit einer deiner Töchter verbringen. Sie könnten dich abholen und mit dir in die Berge fahren, dann hätten sie auch was davon.“
Gudrun, Sieglindchen, ich hatte sie schon vermißt. Wie dick Barbaras Bauch inzwischen wohl sein mochte? Sie mußte bald in den achten Monat kommen. „Das ist eine gute Idee“, sagte ich. „Ich werde sie heute nachmittag anrufen, da erreiche ich sie am besten. Vielleicht klappt es schon nächstes Wochenende.“
„Nein, warte lieber noch ein bißchen. Das zweite Septemberwochenende wäre ganz gut.“
Und da erinnerte ich mich: die Party. Ich hatte sie völlig vergessen. Herr Raimondo hatte mir erzählt, daß die Jungs vorhatten, Anfang September groß zu feiern. Mein Sohn wollte mich also nicht dabeihaben. Ein Fest mit all ihren Freunden, aber ohne mich. „Ja, das ist bestimmt ein gutes Wochenende“, sagte ich, und in meinem Herz tat es einen Stich.
Malvyn *
Es schien, als würde Raimondos Zusammenbruch auf uns übergreifen wie ein Virus, an dem wir alle langsam, aber sicher erkrankten. Oder war es ein Dämon?
An der Oberfläche schien alles beim Alten: Ed war freundlich und zuvorkommend, B geistig abwesend, aber hilfsbereit, wenn man ihn um etwas bat. Ed kümmerte sich um alles, was den Haushalt betraf, um Hannah, Nani, mich. B mimte den Starken, an dem sich jeder anlehnen konnte und der sich der „größeren“ Probleme unseres Alltags annahm – akut um unseren italienischen Freund.
B tat wirklich alles für Raimondo, selbst wenn es einfachere Möglichkeiten gab, wie zum Beispiel, daß sich die Nachbarn um Post und Blumen kümmern. Aber B wollte alles selber machen – dabei hätte er es dringend nötig gehabt, in den Arm genommen zu werden – und übersah dabei die Tatsache, daß es ihm an die Substanz ging. Seit Adrians Tod hatte er kein einziges Mal geweint.
Ed, den Bs Verhalten oft irritierte, der aber immer irgendeine Art von Verständnis dafür aufbrachte – meistens eine astrologische Erklärung –, geriet langsam, aber sicher aus der Spur. Anstatt rechtzeitig mit B darüber zu reden, kümmerte er sich noch mehr, kochte und räumte auf, zerteilte sich zwischen Geschäft und Familie, machte jedermanns Bedürfnisse zu seinen eigenen und wurde darüber immer unwirklicher. Mitte August, kurz vor dem Eklat, kam er mir vor wie eine zweidimensionale Pappfigur: falsches Lächeln, übersensibel, ständig in Gefahr, vom nächsten Windstoß davongeblasen zu werden.
B und Nani besuchten Raimondo auf dem Land, Ed kochte am Abend ein dreigängiges Verwöhnmenü, wie er es nannte. Als sie nach Hause kamen, stellte sich heraus, daß die beiden schon gegessen hatten – und das, nachdem wir mehr als zwei Stunden auf sie gewartet hatten, B weigerte sich immer noch, sich ein Handy anzuschaffen. Ein paar Tage später kam Ed mit einem dunkelblauen Hemd für B nach Hause, ein ziemlich edles Teil. Er zeigte es mir und behauptet, daß es ihm „zufällig“ in die Hände gefallen sei, aber Ed kaufte nichts zufällig; er hatte lange danach gesucht. Bs Dank darauf: „Schön, daß du Zeit zum Einkaufen findest.“
In solchen Momenten hätte Ed B am liebsten geohrfeigt – was beiden vielleicht sogar ganz gut getan hätte –, statt dessen schluckte er. Er schluckte und schluckte und schluckte, bis er dann endlich explodierte.
Ich war an dem Abend mal wieder bei Mäxx, mit dem ich in diesen Tagen viel Zeit verbrachte – schon weil die Stimmung zu Hause so angespannt war –, und bekam deshalb nur das Echo davon mit: Ed ohne strahlendes Gesicht, B verbissen schweigsam, so schweigsam, daß man den Eindruck hatte, er würde die Schallwellen in sich aufsaugen. Wenn wir zu viert am Tisch saßen, wagte keiner zu sprechen.
Nani erzählte mir dann ganz aufgebracht, daß sich „ihre Söhne“ – wie sie die beiden inzwischen hinter vorgehaltener Hand nannte – gestritten hätten und sie nicht wüßte, was sie tun konnte.
„Meine Güte“, sagte ich, „die werden sich schon wieder einkriegen, Nani. Mach dir keine Sorgen.“
„Meinst du?“ fragte sie.
„Aber klar“, sagte ich, „es ist ja nicht so, als ob einer von beiden einen Liebhaber hätte.“
Daraufhin schaute sie mich erschrocken an, ein Blick, der sagte: „Wie kannst du so etwas nur denken?“
Auch an Nani ging die Sache mit Raimondo nicht spurlos vorüber. Ich hatte ja von Anfang an den Eindruck, daß sie den dicken Italiener ins Herz geschlossen hatte. War
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