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Einer trage des anderen Schuld

Einer trage des anderen Schuld

Titel: Einer trage des anderen Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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und Claudine hin und her. »Hat sie’s jetzt getan?«
    »Nein, getötet hat sie sie nicht«, versicherte Hester ihm hastig. »Aber es sieht ganz danach aus, als ob sie sie von hier weggebracht hätte.«
    »Wer hat sie dann ermordet?«, fragte er.
    »Das weiß ich nicht. Ich weiß nicht genau, was Margaret getan hat oder was sie bezweckte. Aber ich werde es herausfinden.« Hester wandte sich an Claudine. »Vielen Dank. Ich halte es für das Beste, wenn Sie den Leuten hier nichts von den jüngsten Ereignissen sagen, auch dann nicht, wenn sie Sie danach fragen. Bitte.«
    »Natürlich, ich werde schweigen.« Claudine schien noch etwas hinzufügen zu wollen, überlegte es sich dann aber anders.
    Hester nahm an, dass es vielleicht eine Warnung sein mochte, oder, Claudines sanfter Miene nach zu schließen, ein Ausdruck persönlicher Anteilnahme. Sie erwiderte das Lächeln der anderen Frau. Worte waren nicht nötig.
    Nach einem kurzen, äußerst bestimmten Wortwechsel, in dem Hester Scuff erklärte, dass er sie auf keinen Fall begleiten würde, setzte sie den Jungen in einen Hansom und bezahlte den Kutscher im Voraus für die Fahrt zur Polizeiwache von Wapping. Scuff drückte sie dann das Geld für die Fähre nach Hause in die Hand, ehe sie weiter zum Gericht eilte.
    Sogar auf dem Bürgersteig vor dem Gerichtsgebäude herrschte Gedränge. Alle warteten begierig darauf, Neuigkeiten vom Geschehen drinnen aufzuschnappen. Dass Hester es überhaupt schaffte hineinzugelangen, verdankte sie einem Gerichtsdiener, den sie gut kannte. Er führte sie entschlossen durch die Vorhalle und durch einen Hintereingang in den Gerichtssaal.
    Sie musste nicht lange warten – nur ein paar Minuten, in denen Winchester ein Plädoyer vortrug –, bis der Richter die Mittagspause verkündete. Hester wurde von der ins Freie strömenden Menge hin und her gestoßen; erst von den Leuten auf den hinteren Rängen der Galerie, dann endlich von denen auf den vorderen Sitzen. Sie erkannte Lord Cardew, der kreidebleich war und seit ihrer Begegnung vor wenigen Wochen um ein Jahrzehnt gealtert wirkte. Sie schämte sich für ihre Erleichterung darüber, dass er sie nicht bemerkte. Was konnte sie ihm denn schon sagen, das seinen Schmerz nicht weiter verschlimmerte? Wie viel Mut musste es ihn kosten, sein Haus zu verlassen, hier zu sitzen und sich all das anzuhören, während sein Entsetzen immer größer wurde und der Zweifel alles zerfraß, was einst so schön und sicher gewesen war?
    Dann entdeckte sie Margaret und ihre Mutter, die hinter zwei anderen Paaren Seite an Seite mit blassem, angespanntem Gesicht zum Ausgang strebten. Beide hielten den Kopf starr nach vorn gerichtet, schauten weder nach links noch nach rechts, als wollten sie jeden Kontakt vermeiden. Die Ähnlichkeit mit den Frauen vor ihnen – die Konturen des Kopfes, die Form der Stirn – ließ Hester vermuten, dass das Margarets Schwestern mit ihren Ehemännern sein mochten, aber es war Margaret, mit der sie sprechen musste, und zwar unter vier Augen.
    Kurz entschlossen trat sie nach vorn, Mrs Ballinger mitten in den Weg. Das war unhöflich – gelinde gesagt –, doch sie hatte keine andere Wahl.
    Zu Tode erschrocken blieb Mrs Ballinger abrupt stehen. Margaret zögerte nur eine Sekunde lang, dann erfasste sie die Situation und wandte sich an ihre Mutter.
    »Mama, anscheinend muss Hester mit mir sprechen. In der Klinik ist wohl etwas geschehen …«
    »Das kann warten«, stieß Mrs Ballinger zwischen aufeinandergepressten Zähnen hervor. »Es lässt sich wohl kaum vorstellen, dass von den Verhältnissen dort irgendetwas jetzt für uns von Belang sein könnte.«
    »Mama …«
    »Margaret, mir ist egal, was mit dem Haus dort ist, und wenn es bis auf die Grundmauern abgebrannt ist! Erwartet sie von uns, dass wir Ketten bilden und Eimer mit Wasser nach vorn reichen?« Sie wirbelte zu Hester herum und funkelte sie erbost an.
    »Es geht um Beweismittel, Mrs Ballinger.« Es kostete Hester enorme Anstrengung, in ruhigem, höflichem Ton zu sprechen. »Es wäre mir lieber, die Angelegenheit nicht an Mr Winchester heranzutragen, aber das ist meine einzige Alternative.«
    Die letzte Spur von Farbe wich aus Mrs Ballingers Gesicht. »Wollen Sie mir drohen, Mrs Monk?«
    Hester kochte innerlich vor Zorn. »Ich versuche lediglich, Ihre Aufmerksamkeit zu erlangen, Mrs Ballinger, oder genauer gesagt Margarets Aufmerksamkeit. Die vorliegende Angelegenheit ist wichtiger als unsere persönlichen

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