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Einer trage des anderen Schuld

Einer trage des anderen Schuld

Titel: Einer trage des anderen Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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ihn durchschauen.
    Er drehte sich auf die andere Seite. Er würde noch ein wenig schlafen, und wenn er Glück hatte, würde er etwas anderes träumen.
    Müde und zerschlagen, mit verkrusteten Augen und Kopfschmerzen wachte er am nächsten Morgen auf. Hester fragte ihn gar nicht erst, wie es ihm ging. Sie blickte ihn nur ernst und mitfühlend an. Worte waren nicht nötig.
    Sie stieg aus dem Bett und ging in die Küche, wo sie am Herd die Asche durch den Rost schüttelte und ein neues Feuer entfachte. Damit es schnell warm wurde, schichtete sie gleich mehrere Scheite aufeinander. Dabei versuchte sie, jeden Lärm zu vermeiden, denn es war früh am Morgen, und sie wollte Scuff nicht wecken. Heute war Sonntag. Sie konnten den Tag zusammen daheim verbringen oder wie jede normale Familie in die Kirche gehen. Scuff tat das gern, weil dann jeder sah, dass er dazugehörte.
    Hester reichte Monk eine Tasse brühend heißen Tee und frisches Toastbrot mit seiner Lieblingsmarmelade und setzte sich ihm gegenüber an den Tisch. Kein Laut war in der Küche zu hören, und das einzige Licht kam vom Gasleuchter an der Wand, der ein gelbes Glühen verbreitete, während alles außerhalb seines Scheins im Schatten lag.
    Als Monk mehrere Minuten lang vor sich hin geschwiegen hatte, eröffnete Hester das Gespräch.
    »Willst du wirklich herausfinden, wer Parfitt umgebracht hat?«, fragte sie und schob eine weitere Scheibe Toast zu ihm hinüber.
    »Natürlich will ich das«, antwortete er erregt und blickte ihr ins Gesicht. Ihm war klar, dass er ehrlicher zu ihr sein musste. Selbst eine Halbwahrheit würde einer Barriere gleichkommen, mit der er nicht leben konnte. »Na ja, nicht ganz. Parfitt war niederträchtig, und wenn ich eines seiner Opfer wäre, würde ich den Mörder mit der größten Freude laufen lassen. Und wäre er von einem der Jungen oder auch von zweien oder dreien umgebracht worden, weiß ich nicht, ob ich sie verhaften würde. Könnte gut sein, dass ich dann versuchen würde, die Beweise zu unterschlagen.«
    Hester schwieg.
    Monk nahm die Scheibe Toast und bestrich sie mit Butter.
    »Aber wenn es der Mann war, der hinter dem ganzen Treiben und wahrscheinlich auch hinter Phillips steckt, will ich ihn unbedingt stellen und dann auch hängen sehen.«
    »Und das wirst du erst wissen, wenn du ihn gefunden hast?«, fragte sie.
    Monk angelte die Nachricht aus seiner Innentasche, in der er sie, sorgfältig in einem Umschlag verstaut, bei sich trug. Sie war wie ein Talisman und eine Last, die ihn nach unten zog. Er entfaltete den Zettel und legte ihn in sicherem Abstand zu der Marmelade und der Teekanne auf den Tisch. »Das hier wurde von einem Erwachsenen verfasst, der ziemlich gebildet sein muss. Die Hand ist kräftig und ans Schreiben gewöhnt.«
    Sie blickte ihm ins Gesicht, dann senkte sie die Augen auf das aus einem Bogen gerissene Papier. Schließlich nahm sie es in die Hand und las. »Aber du hast keine Vorstellung davon, wer es ist?«
    »Nein. Das Papier ist von guter Qualität und der Bleistift ganz gewöhnlich. Der Umschlag ist von mir.«
    Hester drehte den Zettel um. Das Schweigen schien sich auszudehnen, bis Monk die Uhr auf dem Kaminsims ticken hören konnte. Hesters Schultern waren ganz steif; ein winziger Muskel an ihrem vorgeschobenen Kinn zuckte.
    »Hester?« Seine Stimme war leise, doch sie schien den ganzen Raum zu füllen.
    Sie blickte zu ihm auf. »Das ist Lateinisch. Die Namen von Medikamenten. Das hier ist Teil einer Liste von Dingen, die wir regelmäßig für die Klinik bestellen.«
    Monk blinzelte überwältigt.
    »Du erkennst die Handschrift?«, fragte er.
    »Es ist die von Claudine«, sagte Hester. »Aber sie könnte die Liste mehreren Leuten gegeben haben.«
    »Margaret vielleicht«, sinnierte Monk. »Ist sie nicht diejenige, die das Geld aufbewahrt und solche Dinge kauft?«
    »Ja, aber manchmal erledigt das auch Squeaky Robinson.« Hesters Stimme war gepresst, voller Kummer.
    Monk beugte sich vor und legte seine Hand auf die ihre. Er wusste, wovor Hester Angst hatte. Squeaky war noch Betreiber eines Bordells gewesen, als sie zum ersten Mal mit ihm zu tun gehabt hatten. Wenn auch anfangs widerstrebend, schien er seine alten Gewohnheiten abgelegt zu haben, und die Veränderung wirkte durchaus echt. Er fand sogar eine gewisse Freude an seiner neuen Ehrbarkeit. Konnte er ihnen das alles nur vorgespielt haben, um seine dunkle Seite zu verbergen? Hatten sie sich zu sehr von der Hoffnung blenden lassen, um

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