Einfach göttlich
helfen können«, fuhr Brutha fort. »Aber statt dessen hast du nur mit den Hufen gestampft und gebrüllt und versucht, den Leuten Angst einzujagen. Wie… wie ein Mann, der den Stock hebt, um einen Esel zu schlagen. Aber Leute wie Vorbis lassen den Stock so gut werden, daß der Esel schließlich dran glaubt.«
»Diese Parabel könnte die eine oder andere Verbesserung vertragen«, kommentierte Om.
»Ich spreche vom wirklichen Leben!«
»Es ist nicht meine Schuld, wenn die Menschen…«
»Doch! Du beeinflußt ihr Denken und Fühlen, damit sie an dich glauben. Du bist also auch für die Konsequenzen verantwortlich.«
Brutha starrte auf die Schildkröte hinab, drehte sich dann um und ging zu dem großen Schutthaufen im rückwärtigen Bereich des ehemaligen Tempels. Dort kramte er eine Zeitlang.
»Wonach suchst du?«
»Nach einem Behälter, damit wir Wasser mitnehmen können.«
»Du wirst nichts finden«, sagte Om. »Das Land verwandelte sich in eine Wüste, und deshalb zogen die Bewohner fort. Sie nahmen alles mit. Es ist sinnlos, nach irgendwelchen Behältern zu suchen.«
Brutha zog an einer gewölbten Tonscherbe, und schließlich löste sie sich aus dem Durcheinander. Es handelte sich um das Überbleibsel einer großen Schüssel, die ziemlich genau in der Mitte durchgebrochen war. Das Bruchstück maß fast einen Meter in der Länge, und es befand sich nur deshalb noch an diesem Ort, weil sich damit nichts mehr anfangen ließ. Doch irgendwann einmal hatte es einen Zweck erfüllt. Am Rand zeigte sich ein dekoratives Relief mit Figuren. Brutha betrachtete sie, um sich von Oms Stimme abzulenken, die noch immer hinter seiner Stirn summte.
Die Figuren schienen Menschen darzustellen, die etwas Religiöses anstellten. Darauf wiesen die Messer hin – man kann nicht von Mord sprechen, wenn man für einen Gott tötet. Mitten auf der Scherbe sah Brutha eine größere Gestalt, die den Eindruck erweckte, wichtig zu sein. Vielleicht der Gott…
»Was?« murmelte er.
»Ich habe gesagt: In hundert Jahren sind wir alle tot.«
Bruthas Blick galt auch weiterhin den Figuren. Niemand wußte, wer ihr Gott gewesen war und wohin sie gezogen sein mochten. Nun schliefen Löwen an den heiligen Orten, und…
… Chilopoda aridius, ein Tausendfüßler, der die Wüste als Lebensraum bevorzugte, teilte Bruthas memoriale Bibliothek mit…
… krabbelten unter dem Altar.
»Ja«, sagte der Novize. »Das stimmt.« Er hob die große Tonscherbe auf und drehte sich um.
Om zog sicherheitshalber den Kopf ein.
»Aber hier…« Brutha taumelte unter dem Gewicht. »Und heute…«
Er warf den großen und schweren Rest einer einst sehr großen und schweren Schüssel. Es krachte am Altar. Tonsplitter stoben empor und fielen wieder herab. Echos hallten durch die Ruine.
»… leben wir!«
Brutha griff nach Om, der sich ganz unter den Panzer zurückgezogen hatte.
»Und wir kehren heim«, fügte der Junge hinzu. »Wir schaffen es. Wir alle. Ich weiß es.«
»Es steht geschrieben, wie?« fragte Om dumpf.
»Es ward gesprochen. Und wenn ich Widerworte von dir höre… Der Panzer einer Schildkröte soll sich gut eignen, um Wasser zu transportieren, habe ich gehört.«
»Du würdest es nicht wagen.«
»Wer weiß? Vielleicht doch. In hundert Jahren sind wir alle tot – das hast du selbst betont.«
»Ja! Ja!« stieß Om besorgt hervor. »Aber hier und heute…«
»Genau.«
D idaktylos lächelte. Und das geschah nicht sehr häufig. Er war keineswegs ein sehr ernster Mann, aber er sah nicht, wenn andere Leute lächelten. Einige Dutzend Muskeln müssen arbeiten, um ein Schmunzeln zu erzeugen, und die diesbezüglichen Investitionen des Philosophen blieben ohne jeden Ertrag.
In Ephebe hatte er oft vor vielen Menschen gesprochen, aber immer bestand das Publikum zum größten Teil aus anderen Philosophen. Ihre Zwischenrufe – in der Art von »Das ist doch bekloppt!« und »Du saugst dir alles aus den Fingern!« – sorgten jedesmal für eine gemütliche Atmosphäre. In solchen Fällen spürte Didaktylos nicht die geringste Anspannung. Weil er wußte, daß die Zuhörer gar nicht zuhörten: Während er sprach, legten sie sich ihre eigenen Worte zurecht.
Doch dieses Publikum erinnerte ihn an Brutha. Es lauschte wie ein gewaltiges Loch, die darauf wartete, gefüllt zu werden. Das Problem bestand darin, daß Didaktylos die Sprache der Philosophie benutzte, während die Leute Unsinn hören wollten.
»Ihr könnt nicht an Groß-A’Tuin glauben«,
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