Einfach göttlich
sagte er. »Groß-A’Tuin existiert. Es hat keinen Sinn, an etwas Existierendes zu glauben.«
»Jemand hebt die Hand«, sagte Urn.
»Ja?«
»Herr, sicher hat es nur Sinn, an etwas zu glauben, das tatsächlich existiert«, meinte ein Mann, der die Uniform der Sakralen Garde trug.
»Wenn die Dinge existieren, so ist es gar nicht nötig, daß man an sie glaubt«, erwiderte Didaktylos. »Sie sind einfach da.« Er seufzte. »Was soll ich euch sagen? Was wollt ihr hören? Ich habe nur das niedergeschrieben, was wir bereits wissen. Berge wachsen und schrumpfen, und unter ihnen schwimmt die große Schildkröte durchs All. Menschen leben und sterben, und die Schildkröte bewegt sich auch weiterhin. Götter erreichen den Höhepunkt ihrer Macht, um Äonen später in Vergessenheit zu geraten, und nach wie vor bewegt sich die Schildkröte. Sie bewegt sich.«
Eine Stimme ertönte aus der Dunkelheit. »Und ist das wirklich wahr?«
Didaktylos zuckte mit den Schultern. »Die Schildkröte existiert. Die Welt ist flach, eine Scheibe. Die Sonne umkreist sie einmal pro Tag und zieht ihr Licht hinter sich her. Und das geschieht auch weiterhin, ob ihr es für wahr haltet oder nicht. Es ist die Realität. Von der Wahrheit weiß ich nichts. Die Wahrheit ist ein ganzes Stück komplizierter. Um ganz offen zu sein: Ich schätze, der Schildkröte ist es völlig schnurz, ob sie zur Wahrheit gehört oder nicht.«
Simony zog Urn zur Seite, während der Philosoph seine Ausführungen fortsetzte.
»Diese Personen sind nicht gekommen, um sich so etwas anzuhören! Du solltest etwas unternehmen.«
»Wie bitte?« erwiderte Urn.
»Hier will sich niemand über Philosophie belehren lassen! Die Leute brauchen jemanden, der sie in den Kampf gegen die Kirche führt! Jetzt sofort! Vorbis ist tot, der Zönobiarch plemplem. Und die Aufmerksamkeit der Priester gilt in erster Linie ihren Intrigen. Die Zitadelle ist reif wie eine große verfaulte Pflaume.«
»Aber sie enthält noch einige Wespen«, entgegnete Urn. »Du hast gesagt, daß ein Zehntel des Heeres hinter dir steht.«
»Dabei handelt es sich um freie Männer. Frei in ihren Köpfen, meine ich. Sie kämpfen für mehr als nur ein paar Münzen pro Tag.«
Urn betrachtete seine Hände. Das machte er oft, wenn er sich unsicher fühlte – dann schienen seine Hände die einzigen Dinge auf der ganzen Welt zu sein, die ihm Gewißheit gaben.
»Sie werden das Kräfteverhältnis von neun zu eins auf drei zu eins verbessern, bevor der Gegner überhaupt merkt, wie ihm geschieht«, fügte Simony grimmig hinzu. »Hast du mit dem Schmied gesprochen?«
»Ja.«
»Ist es möglich?«
»Ich… glaube schon. Obwohl ich einen anderen Verwendungszweck…«
»Die Inquisitoren haben seinen Vater gefoltert. Nur weil er an die Wand seiner Werkstatt ein Hufeisen gehängt hat. Jeder weiß, daß Schmiede ihre kleinen Rituale brauchen. Und man zwang seinen Sohn, Soldat zu werden. Wie dem auch sei: Er hat viele Helfer. Sie werden die ganze Nacht arbeiten. Du brauchst ihnen nur zu sagen, worauf es ankommt.«
»Ich habe einige Skizzen gezeichnet…«
»Gut«, brummte Simony. »Jetzt hör mal, Urn. Die Kirche wird von Leuten wie Vorbis geleitet. So funktioniert das alles. Millionen von Menschen sind für… für Lügen gestorben. Es muß endlich ein Schlußstrich gezogen werden…«
Didaktylos hatte aufgehört zu sprechen.
»Er hat die Sache verpatzt«, sagte Simony. »Sie lagen ihm zu Füßen, aber er erzählte ihnen nur von Fakten. Damit kann man Menschen nicht inspirieren. Sie brauchen eine Sache. Sie brauchen ein Symbol.«
S ie verließen den Tempel kurz vor Sonnenuntergang. Der Löwe war in den Schatten einiger Felsen gekrochen, stand nun mühsam auf und sah ihnen nach.
»Bestimmt folgt er uns«, stöhnte Om. »Das machen Löwen für gewöhnlich. Folgen ihren Opfern über viele Kilometer hinweg.«
»Wir überleben.«
»Ich wünschte, ich hätte deinen Optimismus.«
»Oh, ich kann einem Gott vertrauen.«
»Wir werden keine weitere Tempelruinen finden.«
»Wir finden andere Orte.«
»Wahrscheinlich bekommen wir nicht einmal die Möglichkeit, Schlangen zu essen.«
»Mein Gott ist bei mir.«
»Aber nicht als eine Art Imbiß. Da fällt mir ein: Du gehst noch immer in die falsche Richtung.«
»Nein. Die Küste befindet sich hinter uns.«
»Eben.«
»Wie weit kommt ein Löwe mit einer solchen Speerwunde?«
»Was spielt das denn für eine Rolle?«
»Eine große.«
Eine halbe Stunde später fanden sie
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