Einfach göttlich
verstrichen. Vorbis blieb die meiste Zeit über in seiner Kabine. Die Besatzung behandelte Brutha mit vorsichtigem Respekt. Solche Sachen sprechen sich schnell herum.
Die Küste bestand vor allem aus Dünen; hier und dort erstreckten sich Salzwassersümpfe. Über dem Rand hing der Dunst der Hitze. Es handelte sich um jene Art von Küste, die bei Schiffbrüchigen noch mehr Entsetzen weckt als die Vorstellung, zu ertrinken und Futter für die Fische zu werden. Bisher hatten Möwen das Schiff begleitet, doch jetzt waren die Vögel verschwunden.
»Keine Adler«, stellte Om fest. Es gab also wenigstens einen positiven Aspekt.
Gegen Abend des vierten Tages kam es zu einer Abwechslung im unerbaulichen Panorama: Auf den Dünen glitzerte etwas, und zwar in einem bestimmten Rhythmus. Der Kapitän – inzwischen sah er wie jemand aus, der einige Nächte lang ohne Schlaf geblieben war – rief Brutha zu sich.
»Dein, äh… der Diakon wies mich an, darauf zu achten«, sagte er. »Bitte gib ihm jetzt Bescheid.«
Vorbis’ Kabine befand sich unweit der Bilgen, und dort war die Luft so dick wie Suppe. Brutha klopfte an.
»Herein.« 5
Hier gab es keine Bullaugen. Vorbis saß im Dunkeln.
»Ja, Brutha?«
»Der Kapitän hat mich geschickt, um dir folgendes mitzuteilen: In der Wüste glänzt etwas.«
»Ausgezeichnet. Nun, hör jetzt gut zu, Brutha. Der Kapitän hat einen Spiegel. Borg ihn dir.«
»Äh… Was ist ein Spiegel, Herr?«
»Ein verbotenes Instrument des Unheils«, erklärte Vorbis. »Allerdings… Unter bestimmten Umständen kann man es für gute Zwecke verwenden. Nun, der Kapitän leugnet sicher, einen Spiegel zu besitzen. Aber er hat einen sorgfältig gestutzten Bart, was auf Eitelkeit hinweist, und Eitelkeit verlangt nach einem Spiegel. Leih ihn dir aus. Und stell dich mit dem Gegenstand so in die Sonne, daß er das Licht zur Wüste reflektiert. Verstehst du?«
»Nein, Herr«, erwiderte Brutha.
»Deine Unwissenheit schützt dich vor Sünde, Junge. Komm anschließend zurück und sag mir, was du gesehen hast.«
O m döste im Sonnenschein. Brutha hatte für ihn einen Platz am spitz zulaufenden Ende des Schiffes gefunden – dort konnte der kleine Gott in der Sonne liegen, ohne von der Besatzung gesehen zu werden. Nun, derzeit waren die Matrosen ziemlich nervös und sicher nicht auf der Suche nach Schwierigkeiten…
Eine Schildkröte träumt…
…von Jahrmillionen. Traumzeit. Die ungeformte Zeit.
Die geringen Götter brummten und schwirrten in der Ödnis, an kalten und tiefen Orten. Sie sammelten sich in der Dunkelheit, ohne Erinnerung, angetrieben von Hoffnung auf Gier nach jenem einen Etwas, das Götter brauchen: Glauben.
Im tiefen Wald gibt es keine mittelgroßen Bäume. Dort existieren nur die Riesen, deren Wipfel sich dicht unter dem Himmel erstrecken. In der Düsternis weiter unten reicht das Licht allein für Moose und Farne. Doch wenn ein Riese fällt und dadurch ein wenig Platz schafft… Dann beginnt ein Wettkampf: Die anderen Bäume in der Nähe wollen sich ausdehnen, und Sämlinge streben nach oben.
Manchmal kann man sich selbst Platz schaffen.
Wälder und Ödnis unterscheiden sich voneinander. Eine namenlose Stimme, die einmal Om werden sollte, schwebte im Wind am Rande der Wüste. Sie versuchte, sich im Durcheinander aus vielen anderen Gehör zu verschaffen, ohne ins Zentrum geschoben zu werden. Vielleicht trieb sie schon seit Millionen von Jahren im Wind – sie konnte die Zeit nicht messen. Da waren nur die Hoffnung und eine Stimme. Und ein Gefühl, daß Dinge existierten.
Dann begann ein Tag. In gewisser Weise war es der erste.
Om spürte die Nähe des Schäfers schon seit einiger Zei… schon seit einer Weile. Die Herde kam immer näher. Es hatte kaum geregnet, und das Futter wurde immer knapper. Hungrige Mäuler trieben hungrige Beine immer weiter zwischen die Felsen, zu den bisher verschmähten Büscheln aus trockenem, von der heißen Sonne halb verbranntem Gras.
Es waren Schafe, die dümmsten Tiere im Universum, abgesehen vielleicht von der Ente. Aber selbst ihr unkomplizierter Geist konnte die Stimme nicht hören. Der Grund: Schafe lauschen nicht.
Und dann… Ein Lamm entfernte sich von den anderen Tieren, und Om sorgte dafür, daß die Entfernung noch etwas größer wurde. Das Jungschaf brachte einen Hang hinter sich, geriet in eine Felsspalte…
Das Blöken lockte die Mutter herbei.
Die Felsspalte war nur aus unmittelbarer Nähe zu erkennen, und das Mutterschaf freute
Weitere Kostenlose Bücher