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Einstein, Orpheus und andere

Einstein, Orpheus und andere

Titel: Einstein, Orpheus und andere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Samuel R. Delany
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bekommt man, wenn man ein Schreibzeug hält. La Dire hat auch so eine Hornhaut, und ich habe sie einmal danach gefragt. Drittens waren an seinen Fingerspitzen glatte schimmernde Stellen; und die kriegt man, wenn man ein Saiteninstrument spielt: Gitarre, Violine, vielleicht Cello? Manchmal, wenn ich mit anderen Leuten spiele, bemerke ich sie. Also, Spinne treibt Drachen. Und er schreibt. Und er spielt Musik …
    Während ich so dalag, fiel mir auf, wie schwer das Atmen geworden war. Ich begann an Bäume zu denken.
    Sekundenlang hatte ich einen Alptraum, daß Batt uns etwas so Kompliziertes wie Hartschalenkrebse und gedünstete Artischocken zu essen geben würde.
    Ich lehnte mich gegen Grünauges Schulter und schlief.
    Ich glaube, ich schlief.
    Ich wachte auf, als Batt den Deckel vom Kochtopf hob. Der Geruch brach mir den Mund auf, glitt in meine Kehle hinunter, packte sich meinen Magen und drehte ihn herum. Ich war nicht sicher, ob es ein angenehmes oder ein schmerzendes Gefühl war. Ich saß einfach nur da, meine Kinnbacken malmten, der Schlund schmerzte. Ich beugte mich nach vorn über mein Knie und krallte mich in den Sand.
    Batt löffelte Stew in Näpfe, hielt ab und zu inne, um sich das Haar aus der Stirn zu schütteln. Ich fragte mich, wie viele Haare wohl in dem Stew waren. Es machte mir nichts aus, wohlgemerkt. War bloß neugierig. Er reichte die dampfenden Blechteller herum, und ich setzte den meinen zwischen die gekreuzten Beine. Ein schwarzgebrannter Laib Brot wurde herumgereicht. Messer brach ein Stück auf, und das lockere Innere quoll durch eine goldene Ader in der Kruste heraus. Als ich mir ein Stück davon abbrach, merkte ich die Müdigkeit in meinen Armen und Schultern und hätte fast angefangen zu lachen. Ich war zu müde, um zu essen, zu hungrig, um zu schlafen. Dieses Paradox vertrieb den Wunsch nach Schlafen und Essen aus dem Bereich des Vergnügens, in den sie für mich immer gehört hatten, und machte sie zur Pflicht bei diesem verrückten Job, in den ich irgendwie hineingeraten war. Ich träufelte Soße auf mein Brot, steckte es in den Mund, kaute zitternd.
    Ich schaufelte den halben Teller voll hinunter, ehe ich bemerkte, daß das Essen zu heiß war. Hunger, wie ich ihn empfand, Hunger über alle Maßen – es war erschreckend, so hungrig zu sein.
    Grünauge schob mit dem Daumen etwas in den Mund.
    Das war die einzige andere menschliche Geste, die ich während der Mahlzeit wahrnahm, bis Stinker lossprudelte: »Gib mir noch was!«
    Als ich die zweite Ladung bekam, brachte ich es fertig, so langsam zu schlingen, daß ich mich umschauen konnte. Man kann Leute danach beurteilen, wie sie essen. Ich erinnere mich an das Abendessen, das Nativia für uns gekocht hat. Ach, Essen, das war damals etwas anderes dort hinten – vor einem Tag, vor zwei Tagen?
    »Also wißt ihr«, grunzte Batt, während sein Essen verschlungen wurde, »ihr kriegt auch noch einen Nachtisch.«
    »Wo isser?« fragte Messer, schlang den letzten Bissen seines zweiten Tellers hinunter und langte durch die Dunkelheit nach dem Brot.
    »Erst nimmst du noch ein bißchen richtiges Essen«, sagte Batt, »bin doch nicht verrückt und seh zu, wie ihr meinen Nachtisch genauso hastig ’runterschlingt.« Er beugte sich ’rüber, schnappte sich Messers Geschirr, füllte es, und diese grauen Hände packten den Blechrand und verschwanden wieder im Schatten. Geräusche von verbissenem Kauen.
    Spinne hatte bisher geschwiegen, jetzt blickte er mit schimmernden Silberaugen umher. »Guter Fraß, Koch.«
    Batt griente geschmeichelt.
    Spinne, der Drachen treibt; Spinne, der schreibt; Spinne, der die vielschichtige Musik Kodálys im Kopf hat – ein Mann, der so ist, macht einen stolz, wenn man ein Kompliment von ihm bekommt.
    Ich schaute von Spinne zu Batt und zurück zu Spinne. Ich wünschte mir, ich wäre es gewesen, der gesagt hätte: »Guter Fraß«, denn der Fraß war gut, und weil Batt so grinste, als es gesagt wurde. Aber was ich dann schließlich herausbrachte, in meinen von unglaublich peitschendem Heißhunger entstellten Worten, war: »Was gibt’s zum Nachtisch?«
    Ich nehme an, Spinne war eine größere Persönlichkeit als ich. Wie ich schon sagte, so ein Hunger ist erschreckend.
    Batt holte einen Steinguttopf mit Topflappen aus dem Feuer.
    »Brombeerknödel. Messer, gib mir mal die zerlassene Soße ’rüber.«
    Ich hörte, daß Grünauges Atem rascher ging. Mein Mund wurde ganz naß. Ich beobachtete genau, wie Batt Knödel und

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