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Einundzwanzigster Juli

Titel: Einundzwanzigster Juli Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ravensburger
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noch korrekt gelandet haben, und der Bader hat Max vom »Felde der Ehre« erzählt und einem letzten Geleit durch Offiziere und Flugschüler eines nahen Luftwaffenstützpunkts. Hat ihm sogar die Hand gegeben! Erstarrt, wie er war, wirdMax sie genommen haben. (Nicht, dass ich ihn danach gefragt oder überhaupt schon mit ihm geredet hätte.)
    Unsere letzte Nacht war glutrot und grau. Landshut war bombardiert worden, direkt bevor wir durchfuhren, die Straßen verstopft mit ausgebrannten Fahrzeugen und aufgeblähten Pferdekadavern; Menschen, die Gesichter voller Ruß, torkelten mit zerfetzten Kleidern aus dem Qualm und schauten sich benommen um, bevor sie sich weiterschleppten und in anderen Rauchwolken verschwanden. Vor dem Dachauer Lagertor standen wir stundenlang, erst mitten in einem Fliegerangriff, gegen Morgen in gespenstischer Stille, während das Tor Wellen von Häftlingen in gestreiften Anzügen und Mützen ausspie, die an uns vorbei zur Arbeit marschierten. Wer am Rand ging, bekam die Gummiknüppel der Aufseher zu spüren.
    Ich nehme alles wie durch einen Schleier wahr. Ausgerechnet ein Amerikaner! Lassen uns in Buchenwald im Stich, schießen Lexi vom Himmel. Mich brauchen die jetzt auch nicht mehr zu befreien! Komisch, wie ruhig man wird. Auf alles gefasst, auf nichts mehr wartend.
    Am Mittag ließen sie die Busse ins Lager und der Bader bekam Gesellschaft durch einen dauerlächelnden SS-Obersturmführer namens Stiller, der ausschließlich für Sonderhäftlinge zuständig ist. Man müsse erst Platz für uns schaffen, sagte der.
    Wie macht man das? Muss unsretwegen noch jemand sterben?
    Eine Besuchserlaubnis für Schönberg hatte sie dabei, ausgestellt von der Gestapo in Regensburg, wo wir wenige Tage zuvor gewesen waren. So dicht war sie uns auf der Spur!
    Julius war ganz blass. »Sie hat meinen Vater in Sicherheit gebracht«, sagte er leise, »direkt danach ist es passiert.«
    Aber es war nicht Onkel Jasper, dem sie gefolgt ist. Es war Max. Es waren wir.
    Seltsam war es, durch München zu fahren. Eine Geisterstadt aus hohlen Mauern, ganz still und schwarz.
     
    Nun tut sich was. Stiller, der Lächler, steigt aus einem Kübelwagen. Die Sonne brennt erbarmungslos vom Himmel, nirgends ein Fleckchen Schatten und seit dem Vormittag kein Schluck zu trinken ... wenn ich jetzt von meinem Koffer aufstehen muss, werde ich dem Lächler direkt vor die Füße kippen.
    Aber ich muss nicht aufstehen. Aufstehen müssen nur die Männer, auf die er höflich zeigt: »Sie und Sie und Sie ... bitte getrennt an der Seite aufstellen. Nebeneinander, so ist’s recht.«
    Zum Schluss sitzen nur noch Eberhard und Caspar, Vater Kuhn und der alte Herr Thyssen, und es ist totenstill bis auf Mutters schweres Atmen neben mir.
    »Sie sind eingezogen zum Volkssturm«, teilt der Stiller unseren Männern mit. »Verabschieden Sie sich von den Frauen, aber machen Sie schnell.«
    Volkssturm! Da kann er sie gleich an die Mauer stellen! Das Volk, das die Amerikaner stürmen soll, haben wir auf den Straßen vor Landshut gesehen: alte Männer mit Schaufeln und Mistforken und ein paar Hitlerjungen, die zitternd hinter Panzergräben hervorlugten.
    Volkssturm! Im Gedränge von Armen und Rücken, Klagerufen und verzweifelten Umklammerungen gebe ich Max zum ersten und letzten Mal die Hand. Er lächelt mich zerstreut an, als versuche er sich an meinen Namen zu erinnern.
    »Vergiss Lautlitz! Versuche, nach Walcheren zu kommen, wenn du von den anderen getrennt wirst!«, schärft Julius mir ein. »Es ist am nächsten. Wir sehen uns dort.«
    Der Lächler hetzt niemanden, er steht mit leicht geneigtem Kopf dabei und scheint tatsächlich geduldig warten zu wollen, bis auch der letzte Schluchzer verebbt ist. Oder genießt er nur, was er ausgelöst hat? Eine schier endlose Reihe Häftlinge, die sich von der Arbeit zurückschleppt – so lange warten wir schon hier? –, wird auseinandergerissen, als ein zweiter Kübelwagen durch sie hindurchbraust und sie und uns in eine Staubwolke hüllt.
    Aus dem Wagen steigt der Bader, wechselt zwei Worte mit dem Lächler, der sagt: »Soso«, hebt die Hände und schaut uns entwaffnend an.
    »Kleiner Irrtum!«, ruft er. »Kommando zurück! Bitte nehmen Sie Ihre Koffer und folgen Sie Untersturmführer Bader zu Ihrer Unterkunft.«
    Wir starren ihn an. Niemand rührt sich. »Sie werden verstehen, dass die Lage ein wenig schwierig ist«, säuselt der Lächler. »Es geht drunter und drüber, aber wir machen möglich, was wir können,

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