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Einundzwanzigster Juli

Titel: Einundzwanzigster Juli Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ravensburger
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ob sie dich überhaupt sehen darf!«
    Mit wachsender Beklommenheit sehe ich Mutters Raserei zu. Allmählich beginne ich zu ahnen, wie es hinter all der zur Schau getragenen Disziplin die ganze Zeit ausgesehen haben muss – und wie wenig Mühe ich mir gegeben habe, es zu erkennen. Wie aus einem Vulkan kochen zwei Monate Haft aus der Tiefe herauf und entladen sich über Lexi, die sich nicht an die Regeln gehalten hat.
    »Sie hat es doch gut gemeint. Sieh mal, jetzt haben wir etwas zu lesen und zu knabbern und können Karten spielen«, beschwichtige ich vergebens.
    »Lexi hat schon immer gemacht, was sie will«, sagt Mutter verbittert. »Wenn dich alle wunderbar finden, hast du natürlich Narrenfreiheit. «
    Ich überlege, ob ich antworten soll: »Wir sind Freundinnen«, habe aber das untrügliche Gefühl, damit noch mehr Öl ins Feuer zu gießen.
    »Du hast uns selbst miteinander bekannt gemacht, erinnerst du dich?«, frage ich stattdessen spitz. »Eine ganze Woche hast du mich mit ihr verbringen lassen, obwohl du genau wusstest, dass sie ...«
    »Dass sie was?«
    »Halbjüdin ist. Findest du nicht, das hättest du wenigstens mal erwähnen können?«
    »Was spielt das für eine Rolle?«, zürnt Mutter. »Diesen Quatsch will ich von dir nicht hören, Philippa. Es sei denn, du kannst mir beantworten, welche Hälfte die jüdische ist. Vorne oder hinten? Links oder rechts? Mit oder ohne Haare?«
    »Mit!«, antworte ich wie aus der Pistole geschossen. »Unbedingt!«
    Sie setzt sich mir gegenüber auf den Strohsack, bläst sich das Haar aus dem Gesicht und damit wohl auch die Wut, denn plötzlich müssen wir gleichzeitig grinsen. »Auf jeden Fall werden beide Hälften demnächst etwas erleben«, kündigt sie an.
    »Was heißt Kinder NSV ?«, frage ich.
    »In Obhut der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt. Ein Kinderheim, nehme ich an, und hoffentlich zusammen ...«
    »Und Onkel Yps hat sie gar nicht erwähnt! Ist das gut oder schlecht?«
    »Ich vermute, sie sind auf ihn aufmerksam geworden, weil er fast ein Jahr bei Eckhardt und Georg gewohnt hat. Aber das ist kein Verbrechen, und solange er nicht beteiligt war ...«
    Dies ist der Moment, in dem ich endlich sagen könnte, was ich weiß. Ich sage: »Glaubst du, er könnte ...?«
    »Ach, Fritzi, ich weiß nicht mehr, was ich glauben soll. Der Letzte, von dem ich es geglaubt hätte, ist dein Vater. Er wusste, wie ich zu diesem Gesindel stehe, aber hat er auch nur ein Wort gesagt? Im Frühjahr war er noch auf Fronturlaub. Er hätte mir doch vertrauen und etwas sagen können!«
    Mutters Schultern hängen herab. Ich setze mich zu ihr auf die Pritsche und lehne mich an sie. Zum ersten Mal denke ich: Wenn sie Onkel Eckhardt hingerichtet haben, dann gibt es auch keine Hoffnung mehr für Vater.

N EUN
    Ich hätte es einritzen sollen. So wie es da steht, wird es so schnell verschwinden wie das Andenken an die Russin, die vor uns hier war. Fritzi und Almut, entlassen 24. X. 44.
    Das wird Mut machen! Das wird denen, die nach uns kommen, zeigen, dass es auch gut ausgehen kann! Erst vor einer halben Stunde ist die Aufseherin hier gewesen und hat es uns gesagt, und in wenigen Minuten sollen wir schon mit den Koffern parat stehen. Zum Einritzen meiner Botschaft blieb keine Zeit.
    Als ob wir nicht längst auf die Nachricht gewartet hätten! Fast vier Wochen ist es her, dass Mädy Loringhovens glücklicher Ruf über den Hof schallte: »Ich bin frei, und Frau von Tresckow ist frei, und die Kinder kommen auch zurück!« Seitdem verschwand eine nach der anderen aus unserer Runde, bis schließlich nur noch Tante Ina, Mutter und ich übrig waren und zu fürchten begannen, man hätte uns vergessen.
    Der Riegel wird zurückgezogen, die Aufseherin lässt uns ein letztes Mal raustreten . In der offenen Tür drehe ich mich noch einmal um.
    Die Pritschen, der Kübel, der Klapptisch – ach, denke ich bereits, so schlimm war es doch gar nicht! Wir hatten zu lesen, wir hatten ein Kartenspiel und zuletzt die Pakete von Lexi, und wir werden für alle Zeit etwas Ungewöhnliches haben, woran wir uns zusammen mit den Lautlitzern erinnern können. Wisst ihr noch, der Sommer, in dem wir alle im Gefängnis saßen ...?
    Ein Zuhause haben wir noch nicht, aber Mutter ist kampfbereit: Die ausgebombten Familien hatten offenbar keinerlei rechtliche Handhabe, sich unsere Wohnung anzueignen! Weiß der Teufel,sagt Mutter, wer ihnen überhaupt erzählt hat, dass die Wohnung leer stand.
    Die bevorstehende Begegnung

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